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Baby-Quasare: Wachsende supermassereiche Schwarze Löcher

ISTA: Das James-Webb-Weltraumteleskop entdeckt kleine Giganten im fernen Universum

Peer-Reviewed Publication

Institute of Science and Technology Austria

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Giant quasar and little red dots. A NASA/ESA/CSA James Webb Space Telescope (JWST) NIRCam picture of the luminous quasar J1148+5251, an extremely rare active supermassive black hole of 10 billion solar masses. The quasar’s light, the orange star-like source with six clear diffraction spikes, was emitted 13 billion years ago. The existence of such massive black holes in the young Universe poses an important challenge to black hole and galaxy formation theories. Simultaneously, the image captured small, point-like red objects, the so-called little red dots. Several such objects appear in virtually every deep JWST image. Like the quasar J1148+5251, the light from these objects (that in these cases was emitted 12.5 billion years ago) is also powered by supermassive black holes. However, these black holes are a factor of hundred to a thousand lower in mass and heavily obscured by dust (making them appear red). The little red dots could represent galaxies that are in an evolutionary phase that predates the luminous quasar phase, and therefore help researchers understand the formation and role of supermassive black holes in distant galaxies.

The image was taken as part of the EIGER project.

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Credit: © NASA, ESA, CSA, J. Matthee (ISTA), R. Mackenzie (ETH Zurich), D. Kashino (National Observatory of Japan), S. Lilly (ETH Zurich)

Gleich im ersten Jahr seines Einsatzes machte das James-Webb-Weltraumteleskop eine unerwartete Entdeckung: Viele kleine lichtschwache rote Punkte im fernen Universum könnte die Art und Weise verändern, wie wir die Entstehung supermassereicher Schwarzer Löcher verstehen. Die Forschungsarbeit unter der Leitung von Jorryt Matthee, Assistenzprofessor für Astrophysik am Institute of Science and Technology Austria (ISTA), ist nun in der Fachzeitschrift The Astrophysical Journal veröffentlicht.

Ein Haufen kleiner roter Punkte in einer winzigen Region unseres Nachthimmels könnte eine unerwartete Entdeckung gleich im ersten Betriebsjahr des James-Webb-Weltraumteleskop (JWST) darstellen: Bisher waren diese Objekte durch die ‚Augen‘ des älteren Hubble-Weltraumteleskops nicht von normalen Galaxien zu unterscheiden. „Ohne für diesen speziellen Zweck entwickelt worden zu sein, hat uns das JWST dabei geholfen, festzustellen, dass es sich bei den lichtschwachen kleinen roten Punkten um kleine Versionen von extrem massereichen Schwarzer Löcher handelt, die sehr weit weg – in der fernen Vergangenheit des Universums – zu finden sind. Diese speziellen Himmelskörper könnten unser Verständnis der Entstehung Schwarzer Löchern verändern“, sagt Jorryt Matthee, Assistenzprofessor am Institute of Science and Technology Austria (ISTA) und Hauptautor der Studie. „Die vorliegenden Ergebnisse könnten uns einen Schritt näher an die Lösung eines der größten Dilemmas der Astronomie bringen: Nach den derzeitigen Modellen sind einige supermassereiche Schwarze Löcher im frühen Universum einfach ‚zu schnell‘ gewachsen. Wie sind sie also entstanden?“

Die kosmischen bodenlosen Gruben
Wissenschafter:innen hielten Schwarze Löcher lange Zeit für eine mathematische Kuriosität, bis ihre Existenz immer offensichtlicher wurde. Diese seltsamen kosmischen bodenlosen Gruben könnten eine derart kompakte Masse und starke Anziehungskraft haben, dass sich ihnen nichts entziehen kann: Sie saugen alles in sich hinein, auch kosmischen Staub, Planeten und Sterne, und verformen den Raum und die Zeit um sie herum so, dass nicht einmal Licht entkommen kann. Die allgemeine Relativitätstheorie, die von Albert Einstein vor über einem Jahrhundert veröffentlicht wurde, sagte voraus, dass Schwarze Löcher jede beliebige Masse haben können. Einige der faszinierendsten Schwarzen Löcher sind die supermassereichen Schwarzen Löcher, im Englischen supermassive black holes, kurz SMBH, genannt. Diese können die millionen- bis milliardenfache Masse unserer Sonne erreichen. Mittlerweile sind sich Astrophysiker:innen einig, dass sich im Zentrum fast jeder großen Galaxie ein supermassereiches Schwarzes Loch befindet. Sogar im Zentrum der Milchstraße existiert Sagittarius A*, ein SMBH, das mehr als das Viermillionenfache der Sonnenmasse hat. Für diesen Nachweis wurde der Nobelpreis für Physik 2020 verliehen.

Zu massiv, um existieren zu können
Doch nicht alle supermassereichen Schwarzen Löcher sind gleich. Während Sagittarius A* mit einem schlafenden Vulkan verglichen werden könnte, wachsen manche andere extrem schnell, indem sie astronomische Mengen an Materie verschlingen. Dadurch strahlen sie so viel Licht aus, dass sie bis an den Rand des sich immer weiter ausdehnenden Universums beobachtet werden können. Diese supermassereichen Schwarze Löcher werden als Quasare bezeichnet und gehören zu den hellsten Objekten im Universum. „Ein Problem bei Quasaren ist, dass einige von ihnen viel zu massiv zu sein scheinen, vor Allem angesichts des Alters des Universums, in dem diese Quasare beobachtet werden. Wir nennen sie die ‚problematischen Quasare‘“, sagt Matthee. „Wenn man bedenkt, dass Quasare aus den Explosionen massereicher Sterne entstehen und dass wir ihre maximale Wachstumsrate aus den allgemeinen Gesetzen der Physik kennen, sehen einige von ihnen so aus, als wären sie schneller gewachsen, als es möglich ist. Es ist wie ein fünfjähriges, aber zwei Meter großes Kind zu sehen. Irgendetwas passt also nicht zusammen“, erklärt er. Könnten supermassereiche Schwarze Löcher vielleicht noch schneller wachsen, als wir ursprünglich dachten? Oder entstehen sie einfach anders?

Kleine Versionen von riesigen Ungetümen
Jetzt haben Matthee und seine Kolleg:innen mehrere Himmelskörper identifiziert, die auf den JWST-Bildern als kleine rote Punkte erscheinen. Außerdem zeigen sie, dass es sich bei diesen Himmelskörpern um supermassereiche Schwarze Löcher handelt, die jedoch nicht unverhältnismäßig groß sind. Entscheidend für die Feststellung, dass es sich bei diesen Himmelskörpern um supermassereiche Schwarze Löcher handelt, war der Nachweis von Hα-Spektrallinien mit breiten Linienprofilen. Hα-Linien sind Spektrallinien im tiefroten Bereich des sichtbaren Lichts, die bei der Erhitzung von Wasserstoffatomen emittiert werden. Die Breite der Spektren spiegelt die Bewegung des Gases wider. „Je breiter die Basis der Hα-Linien ist, desto höher ist die Geschwindigkeit des Gases. Diese Spektren verraten uns also, dass wir es mit einer sehr kleinen Gaswolke zu tun haben, die sich extrem schnell bewegt und um etwas sehr Massereiches wie ein supermassereiches Schwarzes Loch kreist“, sagt Matthee. Bei den kleinen roten Punkten handelt es sich jedoch nicht um die riesigen kosmischen Monster, die man in übermäßig großen Quasaren findet. „Während die ‚problematischen Quasare‘ blau und extrem hell sind und die milliardenfache Masse der Sonne erreichen, sind die kleinen roten Punkte eher wie ‚Baby-Quasare‘. Ihre Massen liegen zwischen zehn und hundert Millionen Sonnenmassen. Außerdem erscheinen sie rot, weil sie staubig sind. Der Staub verschleiert die Schwarzen Löcher und lässt ihr Licht rot aussehen“, sagt Matthee. Aber irgendwann wird der Gasausfluss der Schwarzen Löcher den Staubkokon durchdringen, und aus diesen kleinen roten Punkten werden sich Riesen entwickeln. Der ISTA-Astrophysiker und sein Team vermuten daher, dass es sich bei den kleinen roten Punkten um kleine, rote Versionen von riesigen blauen supermassereichen Schwarzen Löchern handelt, die sich in einer frühen Entwicklungsphase befinden. „Die genauere Untersuchung dieser Baby-Quasare wird uns ermöglichen, besser zu verstehen, wie problematische Quasare zustande kommen.“

Eine bahnbrechende Technologie
Matthee und sein Team konnten die Baby-Quasare dank der Datensätze der JWST-Programme EIGER (Emission-line galaxies and Intergalactic Gas in the Epoch of Reionization) und FRESCO (First Reionization Epoch Spectroscopically Complete Observations) finden. Dies sind ein großes und ein mittleres JWST-Programm, an denen Matthee beteiligt war. Im vergangenen Dezember führte die Zeitschrift Physics World EIGER als einen Top 10 Durchbruch des Jahres 2023 auf. „EIGER wurde entwickelt, um speziell die seltenen blauen supermassereichen Quasare und ihre Umgebungen zu untersuchen. Das Ziel war nicht die kleinen roten Punkte zu finden, aber wir haben sie zufällig im selben Datensatz gefunden. Das liegt daran, dass EIGER mit der Nahinfrarotkamera des JWST Emissionsspektren von allen Himmelskörpern aufnimmt“, sagt Matthee. „Wenn Sie Ihren Zeigefinger heben und Ihren Arm vollständig ausstrecken, entspricht der von uns untersuchte Bereich des Nachthimmels etwa einem Zwanzigstel der Oberfläche Ihres Nagels. Bislang haben wir also wahrscheinlich nur an der Oberfläche gekratzt.“

Matthee ist zuversichtlich, dass diese Ergebnisse viele neue Forschungsrichtungen eröffnen und zur Beantwortung einiger der großen Fragen über das Universum beitragen werden. „Schwarze Löcher aller Art gehören wohl zu den interessantesten Himmelskörpern überhaupt. Es ist schwer zu erklären, warum sie existieren, aber sie sind eben da. Wir hoffen, dass diese Arbeit uns helfen wird, eines der größten Rätsel des Universums zu lösen“, schließt er.

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Kurz vor der Veröffentlichung dieses Textes gab das Space Telescope Science Institute (STScI) die ausgewählten Projektanträge für das dritte Jahr des wissenschaftlichen Betriebs des JWST bekannt. Zu den in einem kompetitiven Verfahren ausgewählten Programmen zählt auch Matthees Forschungsantrag „Dissecting Little Red Dots: the connection between early SMBH growth and cosmic reionization“, für den insgesamt 45 Stunden am JWST vorgesehen sind.

 


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