News Release

Seltene Form der Lepra existierte in Amerika seit Tausenden von Jahren

Forschende haben zwei 4.000 Jahre alte Genome des seltenen Erregers Mycobacterium lepromatosis rekonstruiert

Peer-Reviewed Publication

Max Planck Institute for Evolutionary Anthropology

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Skeleton that yielded a 4000-year-old M. lepromatosis genome.

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Credit: © Oscar Eduardo Fontana-Silva & Anna Brizuela

Auf den Punkt gebracht

  • Die Hansen-Krankheit (Lepra) soll ihren Ursprung in Eurasien haben: Frühere Studien zu Mycobacterium leprae, der vorherrschenden Form der Lepra, deuten darauf hin, dass die Krankheit auch dort entstanden ist.
  • Alte Krankheitserreger-Genome aus alten Knochen: Forschende aus Deutschland und Argentinien haben zwei Genome des Erregers Mycobacterium lepromatosis in 4.000 Jahre alten menschlichen Skeletten aus Chile rekonstruiert. Dieser Erreger gilt als die zweite, weniger häufige Ursache der Hansen-Krankheit.
  • Ein neues, amerikanisches Kapitel für die Hansen-Krankheit: Zwei Erreger, die dieselbe Krankheit verursachen, haben sich über Jahrtausende hinweg unabhängig voneinander auf zwei verschiedenen Kontinenten entwickelt.

Die Hansen-Krankheit, auch Lepra genannt, ist eine chronische Erkrankung, die zu körperlichen Beeinträchtigungen führen kann. Heute kommt sie in über 100 Ländern vor. Obwohl die Infektion behandelbar ist, variiert der Zugang zu Behandlungsmöglichkeiten je nach sozioökonomischen Bedingungen stark. Erwähnungen der Krankheit in historischen Texten geben uns einen Einblick in ihre früheren Auswirkungen auf die Gesundheit der Bevölkerung in Europa und Asien.

Eine längere unbehandelte Infektion kann zu charakteristischen Veränderungen der Knochen führen. Solche Veränderungen wurden bereits an archäologischen Skeletten aus Europa, Asien und Ozeanien dokumentiert, und zwar aus einer Zeit vor 5.000 Jahren. Das Fehlen dieser Veränderungen in amerikanischen Kontexten vor dem Kontakt mit Europa lässt vermuten, dass Lepra eine der Krankheiten war, die in der Kolonialzeit auf den Kontinent eingeschleppt wurden. Danach befiel sie Menschen – und erstaunlicherweise auch Gürteltiere.

Aus genetischer Sicht wird die Hansen-Krankheit entweder durch das weltweit vorherrschende Mycobacterium leprae oder durch das neu identifizierte, jedoch seltene Mycobacterium lepromatosis verursacht. Der Nachweis von M. leprae in archäologischen Knochenfunden in Europa lässt vermuten, dass die Krankheit ihren Ursprung in Eurasien während der Jungsteinzeit vor rund 7.000 Jahren hatte. Ähnliche Schätzungen zum Auftreten anderer berüchtigter Krankheiten wie Pest, Tuberkulose und Typhus wurden ebenfalls aufgestellt. Alte Genome von M. lepromatosis waren bislang nicht auffindbar, könnten jedoch wichtige Hinweise auf die Geschichte der Hansen-Krankheit liefern.

Frühe Krankheiten auf dem amerikanischen Kontinent

Über die Erfahrungen der verschiedenen Bevölkerungsgruppen, die vor der Kolonialzeit in Amerika lebten, mit Infektionskrankheiten wissen wir vergleichsweise wenig. Dieser Zeitraum umfasst fast 20.000 Jahre Menschheitsgeschichte. Die vielfältigen Ökosysteme, in die sich die Menschen auf dem gesamten Kontinent integriert hatten, stellten das Immunsystem vor Herausforderungen, die in anderen Teilen der Welt nicht auftraten. Über diese Krankheiten ist nur sehr wenig bekannt, da sie durch die von den Europäern eingeschleppten Krankheitserreger ausgelöscht wurden.

Archäologische Untersuchungen von menschlichen Knochen aus der Zeit vor der Kolonialisierung Amerikas bestätigen, dass diese Zeit keineswegs frei von Krankheiten war. Oft sind die Spuren auf den Knochen jedoch nicht spezifisch genug, um sie einer bekannten Krankheit zuzuordnen. „Alte DNA ist zu einem großartigen Werkzeug geworden, mit dem wir Krankheiten, die in Amerika eine lange Geschichte haben, genauer untersuchen können”, sagt Kirsten Bos, Gruppenleiterin für Molekulare Paläopathologie am Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie.

Sie und ihr Team untersuchen seit mehr als zehn Jahren pathologische Knochen aus Amerika. Einige der von der Gruppe entdeckten Krankheiten waren zu erwarten: Erst letztes Jahr fanden sie Hinweise darauf, dass eine Familie von Krankheiten, die eng mit Syphilis verwandt sind, ihren Ursprung in Amerika hat – was lange vermutet wurde. „Die fortschrittlichen Techniken, die heute zur Untersuchung alter pathogener DNA eingesetzt werden, ermöglichen es uns, über die gewöhnlichen Verdächtigen hinauszuschauen und andere Krankheiten zu untersuchen, die man in diesem Zusammenhang nicht erwarten würde“, fügt Bos hinzu.

Die Geschichte der Hansen-Krankheit neu schreiben

Das Team um Bos arbeitete eng mit Forschenden aus Argentinien und Chile zusammen, um sowohl für die Analyse geeignete Knochen zu identifizieren als auch die aufwendige Isolierung der DNA alter Krankheitserreger durchzuführen. Der Doktorand Darío Ramírez von der National University of Córdoba in Argentinien arbeitete intensiv mit diesem Material und war der Erste, der in etwa 4.000 Jahre alten Skeletten aus Chile eine genetische Signatur im Zusammenhang mit Lepra identifizierte. „Wir waren zunächst skeptisch, da Lepra als Krankheit der Kolonialzeit gilt. Eine genauere Untersuchung der DNA ergab jedoch, dass es sich um den Erreger der Lepromatose handelt.“

Dies lieferte den ersten Hinweis darauf, dass M. lepromatosis und M. leprae, obwohl beide nominell Erreger der Hansen-Krankheit sind, möglicherweise eine sehr unterschiedliche Geschichte haben. Entscheidend für die Untersuchung war die Rekonstruktion des Genoms. Dies ist zwar nie einfach, aber diese Erreger waren „erstaunlich gut erhalten, was bei alter DNA, insbesondere bei Proben dieses Alters, ungewöhnlich ist“, kommentiert Lesley Sitter, Postdoc in Bos' Team, der die Analyse durchgeführt hat.

Der Erreger ist mit allen bekannten modernen Formen von M. lepromatosis verwandt. Da jedoch nur sehr wenige Genome zum Vergleich zur Verfügung stehen, gibt es noch viel über ihn zu lernen. Die aktuelle Studie hat gezeigt, dass ein heute als selten geltender Erreger über Jahrtausende hinweg Krankheiten in Amerika verursacht hat. Rodrigo Nores, Professor für Anthropologie an der National University of Córdoba in Argentinien, ist überzeugt, dass in den kommenden Jahren sowohl alte als auch moderne Fälle identifiziert werden. „Diese Krankheit kam bereits vor 4.000 Jahren in Chile vor. Mit diesem Wissen können wir nun auch gezielt in anderen Kontexten danach suchen”, so Nores. Sobald weitere Genome bekannt werden, können zusätzliche Details seiner Geschichte rekonstruiert und seine heutige weltweite Verbreitung besser verstanden werden.

Der Erreger wurde kürzlich bei Eichhörnchenpopulationen in Großbritannien und Irland entdeckt; in Amerika wurde er bisher nur beim Menschen nachgewiesen. Angesichts der wenigen Daten ist seine Herkunft noch immer rätselhaft. „Es bleibt noch zu klären, ob die Krankheit ihren Ursprung in Amerika hat oder ob sie mit einigen der ersten Siedler aus Eurasien eingeschleppt wurde”, fügt Bos hinzu. „Bislang deuten die Hinweise auf einen amerikanischen Ursprung hin, aber um sicher zu sein, benötigen wir weitere Genome aus anderen Zeiträumen und Kontexten.”


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