image: Mtskheta, the ancient capital of the Iberian Kingdom, and the confluence of the Kura and Aragvi rivers, about 20 kilometers north of Tbilisi, Georgia. This study analyzed the DNA of individuals buried in the Samtavro cemetery, a small white structure on the right side of the photo. Several of these individuals had artificially deformed skulls. Mtskheta was the economic and political capital of the Kingdom of Iberia for nearly a millennium, until the fifth century CE, and was also a center of early Christianization.
Credit: © Harald Ringbauer
Auf den Punkt gebracht
- Genetische Abstammung blieb weitestgehend konstant: Trotz großer kultureller Veränderungen weisen die Bevölkerungsgruppen im Südkaukasus seit mehr als 5.000 Jahren eine bemerkenswert konstante genetische Abstammung auf.
- Spuren von Migrationen aus der Bronzezeit: Obwohl der lokale Genpool großteils unverändert blieb, kam es in der Bronzezeit zu genetischen Einflüssen aus der eurasischen Steppe und aus Anatolien.
- Kulturelle Einflüsse: Die Übernahme von Praktiken wie der Schädeldeformation erfolgte in erster Linie durch kulturellen Einfluss und nicht nur durch Migration.
- Neue Erkenntnisse über die Südkaukasus Region: Diese Studie betont die Bedeutung des Südkaukasus als Drehscheibe verschiedener Bevölkerungsgruppen und zeigt auf, wie ihre komplexe Geschichte und der kulturelle Austausch die Identität dieser Region an der Schnittstelle zwischen Europa und Asien geprägt haben.
Ein internationales Forschungsteam aus Deutschland, Georgien, Armenien und Norwegen hat die alte DNA von 230 Individuen aus 50 archäologischen Fundstätten in Georgien und Armenien analysiert. Im Rahmen des Max Planck-Harvard Research Center for the Archaeoscience of the Ancient Mediterranean, das gemeinsam von Johannes Krause, Direktor am Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie in Leipzig, und Philipp Stockhammer, Professor an der Ludwig-Maximilians-Universität München, geleitet wird, rekonstruiert diese Studie die genetischen Interaktionen der Populationen im Südkaukasus im Laufe der Zeit bis hinunter auf die Ebene der individuellen Mobilität.
Weitgehend konstante Abstammung mit Spuren von Migrationen aus der Bronzezeit
Die Ergebnisse der Studie zeigen, dass die Menschen im Südkaukasus von der frühen Bronzezeit (ca. 3500 v. Chr.) bis zur Zeit der Völkerwanderung (ca. 500 n. Chr.) ein weitgehend konstantes Abstammungsprofil beibehielten. „Die Beständigkeit eines tief verwurzelten lokalen Genpools über zahlreiche Veränderungen der materiellen Kultur hinweg ist außergewöhnlich“, sagt Harald Ringbauer, Populationsgenetiker am Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie, dessen Forschungsteam die Studie geleitet hat. „Dies hebt sich deutlich von anderen Regionen in Westeurasien ab, wo solche Veränderungen oft mit erheblichen Bevölkerungsbewegungen verknüpft waren.“
Die Untersuchungen ergaben jedoch auch Hinweise auf Migration aus benachbarten Regionen. Insbesondere in den späteren Phasen der Bronzezeit lässt sich ein Teil des genetischen Erbguts der Region auf Menschen aus Anatolien und eurasische Steppenhirten zurückführen. Diese Wanderungen waren ein Vektor für kulturellen Austausch, technologische Innovationen, neue Bestattungspraktiken und die Ausbreitung wirtschaftlicher Systeme wie der nomadischen Viehzucht. Nach dieser Zeit wuchs die Bevölkerungszahl in der Region und genetische Spuren der Vermischung waren oft nur vorübergehend vorhanden oder betrafen nur einzelne Personen.
Schädeldeformation: Durch Migration eingeführt, wurde sie zu einer lokalen Tradition
Die Studie liefert besonders spektakuläre Einsichten über absichtlich deformierte Schädel, praktiziert von frühmittelalterlichen Menschen aus dem Königreich Iberien im heutigen Ostgeorgien. Lange Zeit wurde angenommen, dass diese kulturelle Praxis mit Migrationen von Steppenvölkern Zentralasiens in Verbindung stand. „Wir haben auch tatsächlich einige Individuen mit deformierten Schädeln identifiziert, die genetisch aus Zentralasien stammen, und sogar direkte genealogische Verbindungen zu den Awaren und Hunnen aufwiesen”, berichtet Eirini Skourtanioti, Erstautorin der Studie und Genetikerin am Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie und der Ludwig-Maximilians-Universität München. „Unsere Analysen ergaben jedoch auch, dass die meisten dieser Individuen Einheimische und keine Migranten waren. Dies ist ein überzeugendes Beispiel für die lokale kulturelle Übernahme einer Praxis, die zuerst von nomadischen Gruppen in die Region gebracht wurde.“
Liana Bitadze, Leiterin des Anthropological Research Laboratory in Tiflis in Georgien und Co-Autorin der Studie, bestätigt die Bedeutung dieser Entdeckung: „Bisher haben wir diese Frage anhand vergleichender morphometrischer Analysen untersucht. Dank alter DNA können wir nun jedoch völlig neue Belege präsentieren, die uns dabei helfen, präzisere Antworten zu finden.“
Ein Schmelztiegel verschiedener Abstammungen
Die Studie zeigt außerdem, dass städtische Zentren und frühchristliche Stätten im Osten Georgiens bereits in der Spätantike zu einem Schmelztiegel verschiedener Völker wurden. Dies unterstreicht die seit Langem bestehende Rolle des Kaukasus als dynamische kulturelle und genetische Kontaktzone.
„Historischen Quellen zufolge diente das Kaukasusgebirge in der Spätantike sowohl als Barriere als auch als Migrationskorridor. Unsere Studie zeigt, dass die zunehmende Mobilität der Menschen ein entscheidendes Merkmal der sich entwickelnden urbanen Zentren in der Region war“, sagt Xiaowen Jia, Co-Erstautor und Doktorand an der Ludwig-Maximilians-Universität München.
Diese Forschung setzt neue Maßstäbe bei der Erforschung der Bevölkerungsgeschichte solcher Regionen, die von der Archäogenetik bisher weitgehend unbeachtet geblieben sind.
Journal
Cell
Article Title
The genetic history of the Southern Caucasus from the Bronze age to the Early Middle Ages: 5,000 years of genetic continuity despite high mobility
Article Publication Date
7-Aug-2025