Feature Story | 12-Nov-2025

Römisches Erbe – Schicht auf Schicht

Archäologin Catherine Teitz erforscht, wie sich römische Architektur und das Alltagsleben entlang des Hadrianswalls über die Jahrhunderte wandelten – und wie alte Grabungsaufzeichnungen noch immer neue Erkenntnisse liefern können

Johannes Gutenberg Universitaet Mainz

Wenn Juniorprof. Dr. Catherine Teitz aus der Haustür tritt, steht sie mitten in ihrem Forschungsgebiet. "Ich wohne im Mainzer Kästrich-Viertel, also im Fußabdruck des einstigen römischen Legionslagers Mogontiacum", erzählt sie. Ihr Weg zur Arbeit am Institut für Altertumswissenschaften (IAW) der Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU) führt sie tagtäglich vorbei an Zeugnissen der Vergangenheit. Auf dem Fußweg kommt sie an den Überresten eines spätantiken Stadttors und am Verlauf eines Aquädukts entlang, wenn sie von auswärtigen Feldforschungen mit dem Zug nach Mainz zurückkehrt, kann sie am Südbahnhof einen Blick auf das ehemalige Römische Theater erheischen. "Das Theater war seinerzeit eines der größten nördlich der Alpen – und ich empfinde es als großes Glück, in dieser Stadt zu leben."

Seit 2024 lehrt und forscht Teitz am Arbeitsbereich Klassische Archäologie des IAW. Dort beschäftigt sie sich insbesondere mit römischen Grenzen, römischer Architektur und Stadtplanung. "Man stellt sich die Römer oft in einem eher romantischen Licht vor – ein paar Soldaten, die auf einer Mauer stehen und in die Ferne blicken. In der Realität war es vor allem eine riesige logistische Leistung: Menschen, Tiere, Baumaterial, Nahrung – all das musste organisiert werden", gibt sie zu bedenken.

Catherine Teitz begeisterte sich schon früh für die römische Welt. Aufgewachsen in San Francisco, begann sie in der Middle School mit Latein – ein selten angebotenes Schulfach in den USA, wo meist moderne Fremdsprachen im Vordergrund stehen. "In dieser Klasse ging es fast genauso viel um römische Kultur und Geschichte wie um Grammatik", erinnert sie sich. "Es war das erste Fach, das ich wirklich geliebt habe."

Von der Theaterbühne zum Steinbau

An der Brown University in den USA studierte Teitz dann Klassische Sprachen und Archäologie. Nebenher arbeitete sie in der Theaterwerkstatt der Universität als Schreinerin, Elektrikerin und Lichtdesignerin. "Mich hat schon immer interessiert, wie Räume funktionieren und wie Menschen sie nutzen", erzählt sie. "Egal ob auf einer Bühne oder in einem Römerlager: Ich möchte verstehen, wie Orte funktionieren, wenn sie genutzt werden."

Weiter ging es an die Stanford University. Hier promovierte Catherine Teitz in Klassischer Archäologie mit einem besonderen Schwerpunkt auf Siedlungen entlang des Hadrianswalls, jener monumentalen Nordgrenze des Römischen Reichs in Britannien. Ein Forschungsstipendium führte sie schließlich an die Römisch-Germanische Kommission (RGK) des Deutschen Archäologischen Instituts in Frankfurt am Main, wo sie sich der Geschichte ihres eigenen Fachs widmete.

"Hier habe ich mir die Beziehung zwischen dem britischen Archäologen Eric Birley und der RGK genauer angeschaut", erzählt Teitz. "Anhand von Briefwechseln in den Archiven konnte ich die intellektuellen Netzwerke und den Austausch zwischen Großbritannien und Deutschland nachzeichnen, die die Forschung zu den römischen Grenzen seit den 1920er-Jahren geprägt hatten – bis der Zweite Weltkrieg die Kommunikation unterbrach. Erstaunlicherweise blieben die Verbindungen jedoch bestehen und wurden nach Kriegsende rasch wieder aufgenommen."

"Schickt mehr Socken!"

Der Hadrianswall hat sie nie mehr ganz losgelassen. Nach der Promotion arbeitete Teitz zunächst in Großbritannien an verschiedenen Forschungsprojekten mit, unter anderem in Kooperation mit dem Vindolanda Trust, bevor sie im Mai 2024 an die JGU wechselte. Heute pendelt sie zwischen Mainz und Nordengland, wo sie weiterhin Feldforschung an den römischen Fundorten Vindolanda und Corbridge betreibt – zwei der bedeutendsten, zugleich aber sehr unterschiedliche Stätten am Hadrianswall.

"In Vindolanda hat der feuchte Boden außergewöhnlich viele organische Materialien erhalten – Tausende Lederschuhe, Textilien und vor allem die berühmten Holztafeln mit privaten Briefen und Aufzeichnungen aus dem Militäralltag", erklärt Teitz. "Ein Dekurio bat um mehr Bier für seine Soldaten, in einem anderen Brief heißt es, dass Socken, Unterhosen und Sandalen auf dem Weg seien. Manche Dinge ändern sich eben nie!"

In Corbridge hingegen legten Archäologen bereits ab dem Jahr 1906 weite Teile steinerner Bauten frei. Aus dem früheren Militärlager hatte sich im Laufe der Zeit eine lebendige Siedlung mit Märkten, Werkstätten und Verwaltungsgebäuden entwickelt. Über die frühen Ausgrabungen gibt es detaillierte Grabungsberichte.

Funde neu erschließen

Es sind diese baulichen Veränderungen, die Teitz besonders faszinieren. "Ein römisches Gebäude blieb selten gleich", sagt sie. "Es wurde über Jahrzehnte und Jahrhunderte hinweg erweitert, repariert oder umgenutzt." Besonders interessiert sie, wie Bauten im Laufe der Zeit angepasst und erneuert wurden, wie neue Mauern auf alten Fundamenten entstanden – von hölzernen Anfängen bis zu den steinernen Strukturen der Spätantike. "In Vindolanda beispielsweise liegen nicht weniger als neun Festungen übereinander."

Eine zentrale Rolle in ihrer Arbeit spielen die Archive. "Viele Grabungen – wie die in Corbridge – fanden vor über hundert Jahren statt. Die Ergebnisse wurden in handschriftlichen Notizen, Zeichnungen oder Fotografien festgehalten", erklärt Teitz. "Oft enthalten diese Originaldokumente Details, die in den veröffentlichten Berichten fehlen."

Sie digitalisiert diese sogenannten Legacy-Daten und verknüpft sie mit modernen Geoinformationssystemen (GIS), also digitalen Karten, die Grabungsdaten, Fundorte und Baupläne präzise miteinander verbinden. So lassen sich Entwicklungen nachvollziehen, die sonst verloren gegangen wären. "Für Corbridge erstelle ich derzeit das erste vollständige digitale GIS, das historische Grabungspläne und aktuelle Daten zusammenführt."

Tiere, Handwerker, Netzwerke

Doch Teitz' Forschung geht weit über Mauern und Baupläne hinaus. Letztlich geht es ihr um die Menschen. "Römische Grenzen waren keine starren Linien", betont sie. "Sie waren dynamisch, durchlässig und sozial vielfältig. Neben den Soldaten lebten in den Siedlungen auch ihre Familien, Händlerinnen und Handwerker – ganze Gemeinschaften am Rande des Reichs."

Innerhalb der Lager und in den vici, den Zivilsiedlungen außerhalb der Befestigungen, kollidierten offizielle Bauvorgaben oft mit alltäglichen Improvisationen. "Ob sich ein Haus unauffällig in eine bestehende Straße einfügte oder sich in den öffentlichen Raum drängte – genau diese Fragen interessieren mich", erklärt Teitz. "Und sie hinterlassen sichtbare Spuren in den archäologischen Befunden."

Auch logistische Fragen sind zentral. "Ein Militärstandort konnte gar nicht isoliert existieren", gibt sie zu bedenken. "Manche Fragen drängen sich geradezu auf: Wie viele Menschen waren nötig, um ein Lager am Laufen zu halten? Wo wurden die Vorräte gelagert? Und welche Infrastruktur war für all das erforderlich?" Römische Grenzsysteme, so Teitz, waren riesige logistische Vorhaben, die nicht nur Soldaten, sondern auch Tiere, Handwerkerinnen und Handwerker sowie Transportnetzwerke umfassten. "Wir werden nie genau rekonstruieren können, wie sich ihr Alltag anfühlte, aber wir können versuchen, uns dem anzunähern – indem wir uns beispielsweise einen Soldaten vorstellen, der einen ganzen Tag lang zu Fuß mit zwanzig Kilogramm Marschgepäck oder auf längeren Reisen zu Pferd unterwegs ist."

Großprojekt über 24 Jahre

An Mainz schätzt Teitz nicht nur die unmittelbare Begegnung mit römischer Geschichte, sondern auch das enge Forschungsnetz mit Partnern wie in der Allianz der Rhein-Main-Universitäten (RMU) und im Leibniz-Zentrum für Archäologie (LEIZA). Unter anderem arbeitet sie am Langzeitprojekt "disiecta membra" mit, das an der Akademie der Wissenschaften und der Literatur Mainz angesiedelt ist.

"Dieses Großprojekt läuft über 24 Jahre und soll sämtliche römischen Steinfragmente in Deutschland systematisch erfassen", erklärt sie. "Jedes Fragment wird nicht nur katalogisiert und digitalisiert, sondern auch mit den entsprechenden Bauwerken sowie den Forschenden verknüpft, die sich damit beschäftigt haben. So entsteht eine riesige Datenbank, die neue Einblicke in Stadtplanung und Baupraxis im römischen Deutschland ermöglicht."

"Die Vergangenheit nicht nochmal ausgraben"

Im Sommer 2025 hat Catherine Teitz gemeinsam mit der RGK und dem Roman Frontiers Early Career Researchers Network einen Workshop für internationale Nachwuchsforschende an der JGU organisiert. Dreizehn Promovierende und Postdocs aus sieben Ländern kamen nach Mainz und Frankfurt, um sich untereinander zu vernetzen und Forschungsideen auszutauschen.

"Wir können die Vergangenheit nicht noch einmal ausgraben", betont Teitz. "Archäologische Daten – und die Details darin – gehen verloren, wenn sich niemand mehr mit ihnen beschäftigt. Gerade deshalb ist es so wichtig, junge Forschende einzubeziehen. Sie halten dieses Wissen am Leben und finden neue Wege, es weiterzuentwickeln."

Neben intensiven Recherchen in der RGK-Bibliothek – der größten Europas zur römischen Grenzforschung – standen auch Vorträge und Exkursionen auf dem Programm. Für Catherine Teitz ist Mainz jedenfalls ein idealer Ort, um die antike Welt zu erforschen – und bei ihrem Weg durch die Stadt wird sie jeden Tag daran erinnert.

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