News Release

KATRIN zieht das Netz um das schwer messbare sterile Neutrino enger

Peer-Reviewed Publication

Max-Planck-Institut fur Kernphysik

Innenansicht des KATRIN Spektrometers

image: Innenansicht des elektrostatischen Spektrometers des Karlsruhe Tritium Neutrino Experiment (KATRIN), der weltweit genauesten Neutrino-Waage. view more 

Credit: Michael Zacher/KIT, KATRIN collaboration

Das KATRIN-Experiment hat mit beispielloser Präzision nach Anzeichen für eine vierte Art von Neutrinos gesucht, deren Nachweis neue Erkenntnisse jenseits des Standardmodells der Physik liefern könnte. Dabei konnte kein Signal nachgewiesen werden, und so verschärfen sich die Einschränkungen für eines der meist diskutierten Rätsel der Neutrinoforschung weiter.

Neutrinos sind zwar fast unsichtbar, gehören aber zu den häufigsten Teilchen im Universum. Das Standardmodell der Teilchenphysik erkennt dabei drei Arten an, und die Entdeckung der Neutrino-Oszillationen hat gezeigt, dass sie eine Masse besitzen und während ihrer Ausbreitung ihre Identität ändern können. Seit Jahrzehnten deuten überraschende experimentelle Anomalien jedoch auch auf die Existenz eines vierten, sterilen Neutrinos hin, das noch schwächer wechselwirkt. Seine Entdeckung würde unser Verständnis der Teilchenphysik revolutionieren.

In einer neuen Studie, die nun in der Fachzeitschrift Nature veröffentlicht wurde, präsentiert die KATRIN-Kollaboration das Ergebnis der präzisesten, direkte Suche nach diesen sterilen Neutrinos durch Messungen des Tritium-β-Zerfalls, bei dem ein Tritium-Kern in einen Helium-3-Kern zerfällt und dabei ein Elektron und ein Antineutrino aussendet.

Das KATRIN-Experiment (Karlsruhe Tritium Neutrino), das zur Bestimmung der Neutrinomasse entwickelt wurde, vermisst das Energiespektrum der Elektronen, die bei diesem Zerfall emittiert werden. Dabei beeinflusst die vom Neutrino abgeführte Energie das detektierte Elektronenspektrum. Sollte ein zusätzliches steriles Neutrino existieren, würde es gelegentlich bei diesem Zerfall emittiert werden und so eine messbare Verzerrung oder „Knick” im Elektronenenergiespektrum erzeugen.

KATRIN, das sich am Karlsruher Institut für Technologie in Deutschland befindet, ist ein großes Experiment, das sich über 70 Meter erstreckt. Es besteht aus drei Hauptkomponenten: einer stark emittierenden, fensterlosen gasförmigen Tritiumquelle die Elektronen emittiert; einem hochauflösenden Spektrometersystem, das deren Energie misst, und einem Detektor, der sie zählt. Seit 2019 vermisst KATRIN das Tritium-β-Zerfallsspektrum mit unübertroffener Präzision und sucht nach kleinsten Abweichungen, insbesondere dem charakteristischen Knick, der von einem sterilen Neutrino zu erwarten wäre.

Die nun veröffentlichte Studie präsentiert die bislang empfindlichste Suche nach sterilen Neutrinos unter Verwendung des β-Zerfalls von Tritium. Zu diesem Zweck detektierte KATRIN über 259 Messtage hinweg 36 Millionen Elektronen und die Forschenden verglichen diese Daten mit einem β-Zerfallsmodell. Dabei konnte eine Messgenauigkeit im Sub-Prozent-Bereich erreicht werden. Es wurden keine Hinweise auf ein steriles Neutrino gefunden. Das Ergebnis schließt daher einen großen Teil des möglichen Parameterraums aus, der durch frühere Anomalien in Messdaten vermutet wurde: kleine, aber signifikante Mess-Defizite, die in Reaktor-Neutrino- und Galliumquellen-Experimenten beobachtet wurden und auf einen vierten Neutrino-Zustand hindeuteten. Es schließt zudem auch die Ergebnisse des Neutrino-4-Experiments vollständig aus, das Hinweise auf ein solches Signal gemeldet hatte. Mit einem ausgezeichneten Signal-zu-Hintergrund-Verhältnis, das sicherstellt, dass nahezu alle detektierten Elektronen aus dem β-Zerfall von Tritium stammen, erreicht KATRIN eine bemerkenswert klare Messung der Spektralform. Im Gegensatz zu Oszillationsexperimenten, die untersuchen, wie Neutrinos nach Zurücklegen einer bestimmten Strecke ihren „Flavour“, eine spezifische Eigenschaft der Neutrinos, ändern, untersucht KATRIN die Energieverteilung am Entstehungsort. Aufgrund dieser unterschiedlichen Nachweismethoden ergänzen sich die beiden Mess-Ansätze und liefern so einen aussagekräftigen Test, der die Hypothese der sterilen Neutrinos widerlegt.

„Unser neues Ergebnis ergänzt Reaktorexperimente wie STEREO in vollem Umfang“, erklärt Thierry Lasserre vom Max-Planck-Institut für Kernphysik in Heidelberg, der die Analyse des Ergebnisses leitete. „Während Reaktorexperimente am empfindlichsten für steril–aktive Massendifferenzen unterhalb weniger eV² sind, untersucht KATRIN den Bereich von wenigen bis zu mehreren hundert eV². Zusammen schließen die beiden Ansätze nun konsequent leichte sterile Neutrinos aus, die sich nachweisbar mit den bereits bekannten Neutrinoarten vermischen würden.“

Da die Datenerfassung bis 2025 fortgesetzt wurde, wird die Empfindlichkeit von KATRIN weiter zunehmen, und so eine noch genauere Suche nach leichten sterilen Neutrinos ermöglichen. „Bis zum Abschluss der Datenerfassung im Jahr 2025 wird KATRIN mehr als 220 Millionen Elektronen im relevanten Bereich aufgezeichnet haben, wodurch sich die Statistik um mehr als das Sechsfache erhöht“, sagt KATRIN-Co-Sprecherin Kathrin Valerius (KIT). „Dadurch können wir die Grenzen der Präzision erweitern und Mischungswinkel unterhalb der derzeitigen Limits untersuchen.“ Im Jahr 2026 wird das KATRIN-Experiment mit dem TRISTAN-Detektor aufgerüstet, der das gesamte Tritium-β-Zerfallsspektrum mit beispielloser Statistik aufzeichnen kann. Durch die Umgehung des Hauptspektrometers und die direkte Messung der Elektronenenergien wird TRISTAN die Reichweite von KATRIN auch auf größere Massen der sterilen Neutrinos ausweiten. „Damit werden wir ein neues Fenster zum keV-Massenbereich öffnen. In diesem Bereich könnten sterile Neutrinos sogar einen Baustein der dunklen Materie im Universums darstellen“, sagt Co-Sprecherin Susanne Mertens, Direktorin am Max-Planck-Institut für Kernphysik.

Die KATRIN-Kollaboration besteht aus Forschenden aus über 20 Institutionen in 7 Ländern.


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