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Online-Diskussionen: Wer spricht im Netz?

Reddit-Feldexperiment untersucht, wie sich stille Mitlesende von aktiv Kommentierenden unterscheiden, und testet Interventionen, um mehr Menschen zum Mitreden zu bringen

Peer-Reviewed Publication

Max Planck Institute for Human Development

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Who speaks on the internet? A small number of active users determine online discourse. This has an impact on the perception of public opinion.

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Credit: MPI for Human Development

Für ihr großangelegtes Experiment richteten die Forschenden sechs private, eigens erstellte Subreddits mit jeweils bis zu 100 Teilnehmenden ein. Über vier Wochen tauschten sich die Gruppen zu insgesamt 20 verschiedenen politischen Themen unter der Beobachtung der Forschenden aus. Die Forschenden analysierten 5.819 Kommentare innerhalb der Subreddits, weitere 62.000 Beiträge der Teilnehmenden außerhalb der Studienforen sowie Umfragen, die Teilnehmende vor, während und nach den Diskussionen beantworteten. 

Die Ergebnisse sind eindeutig: Wer eine Diskussionsumgebung als toxisch, respektlos oder stark polarisiert wahrnimmt, beteiligt sich öfter gar nicht. Unter denen, die sich dennoch äußern, hängt dies allerdings mit besonders vielen Kommentaren zusammen -- so wirkt eine aufgeheizte Diskussionsumgebung möglicherweise sogar motivierend für eine aktive Minderheit.  Besonders aktiv waren Männer, politisch stark Interessierte und Menschen, die ohnehin regelmäßig online kommentieren. 

Die Forschenden testeten außerdem verschiedene Maßnahmen, um stille Mitlesende zu motivieren, etwas zur Diskussion beizutragen. Finanzielle Anreize von zwei US-Dollar pro Tag für mindestens einen ernsthaften Kommentar steigerten die Beteiligung tatsächlich, konnten die Dominanz einzelner Vielschreiber jedoch nur moderat reduzieren. Normappelle wie „Bitte bleibt respektvoll“ hatten kaum Wirkung, während positives Feedback in Form von Upvotes auch mit gesteigerter Aktivität am nächsten Tag einherging. 

Der implizite Reflex, Debatten „retten“ zu wollen, greift für Oswald zu kurz. Sie ist Erstautorin der Studie und Wissenschaftlerin am Forschungsbereich Adaptive Rationalität des Max-Planck-Instituts für Bildungsforschung. „Es ist eine schwierige Annahme zu sagen, jeder sollte sich online beteiligen“, sagt sie. Ihr Anliegen sei ein anderes: zu verstehen, warum wenige sehr aktiv sind und viele schweigen – und was das für die Sichtbarkeit öffentlicher Meinung bedeutet. Die Beteiligungslücke verzerrt Wahrnehmungen. Wer die Kommentarspalte unter einem Nachrichtenartikel liest und annimmt „so denkt die Öffentlichkeit“, irre oft gewaltig. 

Für Plattformbetreiber und Community-Manager liefert die Studie konkrete Hinweise: Eine Kombination aus positiven, nicht-monetären Anreizen für Erst- und Qualitätsbeiträge, klaren und konsequent durchgesetzten Regeln zur Reduktion sichtbarer Toxizität sowie mögliche Kommentarobergrenzen für extrem Aktive kann die Beteiligung verbreitern und die Wahrnehmung öffentlicher Meinungen realistischer machen. 

„Man kann nicht einfach einen Regler drehen, um die Beteiligung zu erhöhen“, sagt Lisa Oswald. „Aber man kann Rahmen schaffen, die das Sprechen leichter machen – gerade für diejenigen, die bisher nur mitlesen.“  

Die Studie wurde im Rahmen von Horizon Europe “Social Media for Democracy” (Some4Dem) gefördert. Die Daten und der Code der Studie sind anonymisiert öffentlich zugänglich und bieten damit seltene Einblicke in die Dynamik von Diskussionen auf Social-Media-Plattformen.  

 

Auf einen Blick:

  • Online-Diskurse werden von wenigen sehr aktiven Nutzenden getragen; die Mehrheit bleibt stumm – das verzerrt die Wahrnehmung öffentlicher Meinung und kann Polarisierung fördern.
  • Feldexperiment (6 Subreddits, 520 Personen, 4 Wochen) zeigt:  Wer die Diskussion als toxisch, respektlos oder polarisiert empfand, schwieg eher. Überraschend aber: Unter den Aktiven gingen damit höhere Kommentarzahlen einher. Vielschreibende sind häufiger Männer, politisch besonders Interessierte und erfahrene Kommentierende.
  • Interventionen: Finanzielle Anreize verbreitern die Beteiligung, reduzieren die Ungleichheit aber nur moderat; reine Normappelle ohne konsequente Durchsetzung wirken (in dieser grundsätzlich eher sachlichen Umgebung) wenig. Sichtbares positives Feedback (mehr Up- als Downvotes) hängt mit verstärkter zukünftiger Beteiligung zusammen.
  • Implikationen fürs Plattformdesign: Keine Einzellösung, sondern mehrere begrenzte Hebel – positive, nicht-monetäre Verstärker für Erst- und Qualitätsbeiträge, klare und durchgesetzte Regeln zur Senkung sichtbarer Toxizität sowie mögliche Kommentarobergrenzen, um die Dominanz von extrem aktiven zu begrenzen.

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