News Release

Erwachen von «Geistern» bei Parkinson-Patienten, ein neuartiger aussagekräftiger Test

Peer-Reviewed Publication

Ecole Polytechnique Fédérale de Lausanne

«Wir sind dabei, ein mit dem kardiovaskulären Belastungstest vergleichbares Verfahren zu entwickeln. Doch statt des Herzens testen wir das Gehirn», erklärte EPFL-Neurowissenschaftler Olaf Blanke.

Wissenschaftler der EPFL bieten mit Hilfe eines unlängst entwickelten Hirnbelastungstests eine neue Möglichkeit, um das Auftreten von Halluzinationen bei Parkinson-Patienten zu beurteilen. Der Schwerpunkt ihrer Forschung liegt auf den Anwesenheitshalluzinationen. Die Forscher liefern auch Hinweise auf einen vielversprechenden Biomarker zur Vorhersage der Schwere des Krankheitsverlaufs. Die Ergebnisse ihrer dreistufigen Studie mit 56 Parkinson-Patienten, die an mehreren Zentren in der Schweiz und SpanScience Translational Medicine (STM) veröffentlicht.

«Ein grosses Problem bei Halluzinationen ist, dass sie spontan auftreten, dass ihr Auftreten nicht vorhergesagt werden kann, dass viele Patienten - möglicherweise aus Angst - nicht offen darüber sprechen und dass es für Ärzte derzeit eine grosse Herausforderung darstellt, ihr Auftreten, ihre Phänomenologie und ihre Intensität zu messen», sagte Fosco Bernasconi, Co-Erstautor der Studie. «Wir haben ein medizinisches Verfahren entwickelt, das auf Methoden der Robotik basiert und mit dem wir eine spezifische Halluzination, nämlich die Anwesenheitshalluzination, in einem Labor oder Spital sicher und unter kontrollierten Bedingungen induzieren können.»

Ein Spektrum von Halluzinationen bei Parkinson

Morbus Parkinson ist dafür bekannt, dass er zu verlangsamten Bewegungen, Muskelsteifheit sowie zu unkontrollierbarem Zittern der Gliedmassen führt. Aber veränderte Bewegungen sind bei weitem nicht das einzige Symptom dieser Krankheit. Einige Jahre nach seiner Pensionierung und nach einer Operation zur Behandlung seiner Parkinson-Krankheit begann Joseph Rey aus Genf, seltsame und wiederkehrende Erlebnisse zu haben, bei welchen er das Gefühl hatte, von einer oder mehreren Personen begleitet zu werden, die sich entweder hinter oder neben ihm befanden. Diese Wahrnehmungen waren so intensiv, dass er sich häufig umdrehen musste, nur um dabei festzustellen, dass niemand da war.

Für Rey, der im Tourismusbereich Karriere gemacht hatte, waren diese Anwesenheitshalluzinationen nie ein Problem: «Ich nenne sie meine Schutzengel», sagte er. «Sie fügen mir keinen Schaden zu. Sie begleiten mich überall hin. Sie sind in gewisser Weise beruhigend, weil ich nicht allein bin.»

Maurizio De Levrano, der in Martigny lebt und auf Beleuchtungen im industriellen, öffentlichen und Luxus-Bereich spezialisiert ist, lebt seit 2015 mit Morbus Parkinson. Auch er hat Halluzinationen. «Es passiert, wenn ich alleine bin, koche oder am Tisch sitze. Aus dem Augenwinkel sehe ich so etwas wie Spinnen, die von der Decke fallen. Ich weiss zwar, dass sie nicht da sind, aber instinktiv fühle ich immer den Zwang, mich umzudrehen und nachzusehen. Ich nahm auch die Gegenwart einer Person hinter mir wahr. Sie fühlte sich wie der Geist meiner Mutter an.»

Sowohl Rey als auch De Levrano erleben diese Halluzinationen zusätzlich zu den Bewegungsdefiziten, die typisch für Morbus Parkinson sind. Sie sind auch nicht die einzigen Patienten mit dieser Krankheit, die Halluzinationen erleben.

Präsenzhalluzinationen werden bei der Parkinson-Krankheit unterdiagnostiziert

Halluzinationen treten bei dieser Krankheit häufig auf und betreffen sowohl Frauen als auch Männer. Tatsächlich erlebt etwa die Hälfte der Menschen mit Parkinson-Krankheit Halluzinationen irgendeiner Art, z.B. Anwesenheitshalluzinationen, Schutzengel wie im Fall von Rey, oder ein Besuch wie bei De Levrano. Halluzinationen des peripheren Sehens, bei welchen Personen oder Tiere wie z.B. Spinnen schnell im Augenwinkel vorbeiziehen, sind ebenso möglich wie visuelle Fehlwahrnehmungen von Objekten oder gar vollständig farbige und geformte visuelle Halluzinationen. Morbus Parkinson ist nach der Alzheimer-Krankheit die zweithäufigste neurodegenerative Erkrankung weltweit und betrifft vor allem ältere Menschen. Es handelt sich um eine fortschreitende neurodegenerative Erkrankung, die traditionell als Bewegungsstörung definiert wurde und durch Tremor, Steifheit und Langsamkeit der Bewegungen gekennzeichnet ist. Viele Patienten leiden aber auch unter einer Vielzahl von Symptomen, die nicht mit der Bewegungsfähigkeit in Verbindung stehen und bei manchen von ihnen treten im weiteren Verlauf psychische Symptome wie Psychosen, Depressionen, Apathie, kognitiver Abbau und sogar Demenz auf.

Es gibt immer mehr klinische Hinweise darauf, dass Halluzinationen Vorläufer dieser schweren psychischen und kognitiven Symptome darstellen könnten. Aber Halluzinationen wie Anwesenheitshalluzinationen werden oft nicht diagnostiziert. Möglicherweise zögern Patienten nämlich, ihren Ärzten davon zu erzählen und nicht speziell ausgebildete Ärzte fragen nicht danach oder haben keine entsprechenden Diagnoseinstrumente.

Ein robotergestütztes Verfahren zum sicheren Hervorrufen von «Geistern» im Gehirn

In einer Studie aus dem Jahr 2014 gelang es Blanke in seinem neurowissenschaftlichen Labor, bei gesunden Personen Anwesenheitshalluzinationen auszulösen. Als man die Teilnehmer einem auf der Robotik basierenden Verfahren unterzog, bei dem spezifische Bewegungs- und somatosensorische Signale verwendet wurden, berichteten gesunde Personen vom Gefühl, von einer Anwesenheit oder von einer Person begleitet zu werden.

Als logischer nächster Schritt befasste sich Blanke mit der Frage, ob sein robotisches Verfahren bei Personen mit Morbus Parkinson angesichts der Prävalenz von mentalen Veränderungen und insbesondere Anwesenheitshalluzinationen bei dieser Krankheit zuverlässig solche Halluzinationen hervorrufen würde. Tatsächlich ist eine Optimierung des robotischen Systems und Verfahrens im Rahmen ihres «Hirnbelastungsstests» und der Ergebnisse ihrer neuesten Studie eines der Hauptziele.

Ein klinischer Test für die Diagnose von Präsenzhalluzinationen

Im ersten Teil der STM-Studie kamen die Wissenschaftler zum Schluss, dass der «Hirnbelastungstest» ein geeignetes Verfahren ist, um bei Parkinson-Patienten Anwesenheitshalluzinationen hervorzurufen. Beim robotischen Verfahren wird der Teilnehmer aufgefordert, wiederholte Bewegungen mit der Hand zu machen, die von einem Roboter gemessen werden. Ein zweiter Roboterarm hinter dem Patienten imitiert diese Gesten auf dem Rücken des Patienten. Sind die Bewegungen als auch die am Rücken wahrgenommenen Berührungen synchron, ist das Gehirn in der Lage, die beobachtete räumliche Dissonanz zusammenzubringen und der Patient berichtet nichts Auffälliges. Sind die Bewegungen und Berührungen am Rücken aber nicht synchron, berichten sowohl gesunde Teilnehmer als auch Patienten mit Morbus Parkinson von Anwesenheitshalluzinationen. Zudem fiel den Wissenschaftlern auf, dass Patienten wie Rey, die bereits vorher Anwesenheitshalluzinationen erlebt hatten, auf die Roboterstimulation im Vergleich mit Patienten ohne vorherige Halluzinationen mit erhöhter Sensibilität reagieren. Der «Hirnbelastungstest», alias «Robot ghost test» oder «Halluzinations-Stress-Test», wie Blanke ihn nennt, wurde an 26 Patienten mit Morbus Parkinson getestet.

«Ich hatte keine Kontrolle über den Roboter, der meinen Rücken berührte, aber ich fühlte eine Gegenwart, als wäre jemand bei mir, der meinen Rücken berührte», sagt Rey, einer der 26 Patienten, die an der Studie teilnahmen. «Es ist nicht genau die gleiche Gegenwart wie bei meinen Schutzengeln. Zwar spüre ich die Anwesenheit meiner Engel, aber ich weiss nie, wann sie erscheinen und meine Engel haben mich noch nie berührt.»

Neuronale Netzwerke und Biomarker

Mit einem robotergestützten «Hirnbelastungstest» als Teil ihrer Ausrüstung identifizierten die Wissenschaftler im zweiten Teil der STM-Studie erstmals die neuronalen Netzwerke im Gehirn, die für Anwesenheitshalluzinationen bei gesunden Personen verantwortlich sind. Die Region umfasst drei fronto-temporale kortikale Hirnregionen, die die Wissenschaftler als Anwesenheitshalluzinations-Netzwerk bezeichnen. Aufbauend auf ihren Entdeckungen im ersten und zweiten Teil der Studie, starteten die Wissenschaftler einen dritten Teil mit einer zweiten Gruppe von 30 neuen Parkinson-Patienten, die zusammen mit dem Team von Jaime Kulisevsky am Sant Pau Spital (Barcelona, Spanien) untersucht wurden. Das gemeinsame Team aus EPFL-Wissenschaftlern und Ärzten des Sant-Pau-Hospitals waren in der Lage, den Schweregrad der Symptome von Patienten anhand von Gehirnscans vorauszusagen.

«Mittels Anpassung des robotischen Systems und Verfahrens an den Scanner konnten wir ein Hirnnetzwerk identifizieren, das für Anwesenheitshalluzinationen bei Parkinson-Patienten relevant ist und das möglicherweise als Biomarker für schwerere Formen der Krankheit dienen könnte, die mit Halluzinationen und kognitiven Defiziten einhergehen», erklärte Eva Blondiaux, Co-Erstautorin der Studie.

Zukunftsaussichten und klinischer Ausblick

Die EPFL-Wissenschaftler haben zwar vielleicht kein Heilmittel entdeckt, aber sie haben eine neue Methode gefunden, die die auslösenden Mechanismen von Halluzinationen bei Morbus Parkinson aufdeckt. Sie vermittelt einen präzisen Einblick in den Schweregrad der psychischen und kognitiven Beeinträchtigungen, die mit einer bestimmten Form der Krankheit einhergehen. Die Forscher wollen in naher Zukunft Ärzten ihre neue Methode bereitstellen, mit welchen sie die Empfindlichkeit ihrer Patienten für Halluzinationen testen und damit einen objektiven und frühzeitigen Marker liefern können, statt sich auf den heute geläufigen Standard von Gesprächen zu verlassen.

Bei Rey werden die Halluzinationen mit fortschreitender Krankheit immer lebhafter. «Mit meinen Schutzengeln habe ich schon viele Abenteuer erlebt», berichtete Rey lachend. «Das Schwierigste an Parkinson ist, mit einer Krankheit diagnostiziert zu werden, die nur schlimmer werden kann, aber ich hoffe weiterhin, dass wir eines Tages ein Heilmittel finden werden.»

De Levrano vergleicht Morbus Parkinson mit einem dunklen Tunnel, der mit fortschreitender Krankheit immer länger und länger wird. «Mein Vater hat Parkinson. Eines Tages erfuhr ich von einer Krankenschwester, dass es ihm leid tue und er sich dafür verantwortlich fühle, dass ich die Krankheit bekommen habe. Deshalb besuchte ich ihn und sagte ihm, dass es ihm nicht leid tun müsse. Die Krankheit war eines der grössten Geschenke meines Lebens», erklärte De Levrano. «Früher war ich ein Macho. Damals wäre ich nicht in der Lage gewesen, den Schmerz eines anderen Menschen zu verstehen. Die Krankheit hat mich demütig gemacht. Ich bin wegen Parkinson, wegen all der Beschwerden, die mein Körper und mein Nervensystem mir bereiten, ein besserer Mensch geworden. Deshalb bin ich motiviert, an solchen Forschungen teilzunehmen.»

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