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Tropenkrankheit im mittelalterlichen Europa

DNA-Analysen an Pesttoten aus einem mittelalterlichen Massengrab in Litauen identifizieren eine an Frambösie erkrankte Frau – eine Krankheit, welche heute nur noch in den Tropen auftritt

Peer-Reviewed Publication

Max Planck Institute of Geoanthropology

Vilnius Image

image: Multiple burial in Vilnius, Lithuania containing an individual infected with both plague and yaws. view more 

Credit: Photo courtesy of Robertas Žukovskis and Scientific Reports.

Massengräber sind keine seltenen Zeugen der verheerenden Wirkung der Pest auf das mittelalterliche Europa. Etliche solcher Gräber sind durch historische Quellen gut dokumentiert, doch ihre genaue Position und die in ihnen beerdigten Menschen sind im Laufe der Zeit oft in Vergessenheit geraten. Wie in den meisten Fällen, stieß man während städtischer Bauarbeiten zufällig auf ein solches Gräberfeld im litauischen Vilnius.

Eine aktuelle, im Fachjournal Scientific Reports veröffentlichte Studie berichtet über die Ergebnisse, der an den Toten durchgeführten DNA-Analysen und gelangt dabei zu wichtigen Erkenntnissen über die Geschichte der Syphilis in Europa.

Nur ein weiteres Massengrab?

„Historische Informationen zu diesem Grab gibt es keine, doch die Art der Bestattung, zusätzlich mit dem Ort außerhalb der mittelalterlichen Stadtgrenzen von Vilnius, deuteten auf die Pest oder eine ähnlich schwere Infektionskrankheit hin“, sagt Rimantas Jankauskas, Professor für Medizin an der Universität Vilnius. „Um Klarheit zu erlangen, benötigten wir jedoch eine Bestätigung mithilfe von DNA-Analysen“.

Kirsten Bos, Gruppenleiterin für molekulare Paläopathologie am Max-Planck-Institut für Menschheitgeschichte (MPI-SHH) in Jena wird häufig für solche Analysen häufig von Archäologen und Archäologinnen kontaktiert.

„Die Pest war keine ungewöhnliche Krankheit zu dieser Zeit und die Daten, die wir durch die DNA-Analyse erhalten, können uns helfen, Aussagen über ihre Verbreitung zu treffen“, so Bos, Expertin für die Gewinnung von DNA historischer Krankheitserregern und Leiterin der Studie.

Karen Giffin, Doktorandin in Bos‘ Team analysierte die DNA der vermeintlichen Pestopfer und konnte den Erreger in den Zähnen von mehreren Individuen identifizieren. „Es gelang uns zwar, die Toten als Opfer der Pest zu identifizieren“, so Giffin, „doch wir wollten prüfen, ob die von uns neu entwickelten Technologien zur molekularen Erkennung von Pathogenen, es uns ermöglichen, mehr über den Gesundheitszustand dieser Menschen zu erfahren.“

Nicht nur die Pest

„Die gängige Methode für die Erkennung von Krankheitserregern in archäologischen Funden setzt voraus, dass man ungefähr weiß, wonach man sucht“, erklärt Alexander Herbig, Gruppenleiter für Pathogenom-Bioinformatik am MPI-SHH. „In diesem Fall nutzten wir jedoch einen noch relativ neuen Ansatz für die DNA-Analyse, um so ohne Vorannahme nach weiteren Erregern zu suchen, die wir auf molekularer Ebene möglicherweise feststellen könnten“.

Diese Methode enthüllte ein zweites Geheimnis des Friedhofs. Eine der vier untersuchten Pesttoten, eine junge Frau, wies ein schwaches Signal für einen Erreger auf, der anscheinend mit der Syphilis verwandt ist.

„Es war beeindruckend, die Spuren einer solchen Krankheit in einem historischen Skelett vorzufinden, da deren molekulare Erhaltung in historischen Knochen als problematisch gilt“, fügt Bos hinzu.

Krankheiten aus der Familie der Syphilis, auch bekannt als Treponematosen, gehen vermutlich weit in die Geschichte des Menschen zurück, obwohl ihre Ausbreitung in Europa mit etlichen Fragen behaftet ist. Der vorherrschenden Meinung zufolge, fällt der erste Ausbruch der Syphilis in Europa mit der Belagerung von Neapel durch Karl VIII. 1495 zusammen. Dort brach sie unter dessen Soldaten aus und verbreitete sich rasch über ganz Europa. Da dieser Ausbruch nur kurz nach der Rückkehr Kolumbus‘ und seiner Mannschaft von ihrer ersten transatlantischen Reise auftrat, wird vielfach davon ausgegangen, dass die Syphilis ihre Wurzeln in der Neuen Welt hat. Doch auch für eine weitere Theorie findet sich wachsender Rückhalt. Eine zunehmende Anzahl von Wissenschaftler/-innen vertreten die Ansicht, einen Erreger identifiziert zu haben, welcher noch vor 1493 in Europa auftrat.

„Es gelang uns, ein erstaunlich gut erhaltenes Genom zu rekonstruieren, welches, zu unserer Überraschung, innerhalb der genetischen Vielfalt der heutigen Frambösie fiel“, so Giffin. Frambösie zählt zu den weniger bekannten Krankheiten unter den Treponematosen und äußert sich hauptsächlich auf der Haut von Menschen und anderen Primaten in warmen, tropischen Umgebungen. „Es in Nordeuropa zu finden, in einem Massengrab aus dem 15. Jahrhundert, war unerwartet“, fügt Giffin hinzu.

Frambösie anscheinend jünger als bisher angenommen

Da sich sowohl Menschen und nichtmenschliche Primaten mit Frambösie infizieren, wurde bislang angenommen, dass es sich dabei um eine besonders alte Krankheit handele; älter als die Ausbreitung des Menschen über den Globus während des Pleistozäns.

„Zu unserer Überraschung, war das von uns rekonstruierte Frambösiegenom nur wenige genetische Schritte von dem Vorfahren sämtlicher Variationen der Frambösie, die heute unter Menschen und nichtmenschlichen Primaten bekannt sind, entfernt“, so Bos. „Aus dem Alter unserer mittelalterlichen Skelette schließen wir, dass die Diversität der Frambösie, wie wir sie heute kennen, vor etwa 1000 Jahren entstand.“

„Das hat wichtige Folgen für die Geschichte von treponemalen Krankheiten in Europa“, fügt Bos hinzu. „Wir können jetzt bestätigen, dass sich die Frambösie bereits im mittelalterlichen Europa im Umlauf befand. Aufgrund ihrer Ähnlichkeit zu Syphilis und des zeitähnlichen Auftretens, ist es möglich, dass die Frambösie zu dem bekannten Ausbruch im 15. und 16. Jahrhundert beitrug, den wir normalerweise auf Syphilis zurückführen.“

Eine Möglichkeit ist, dass die Frambösie ihren Ursprung entweder in Menschen oder anderen Primaten aus Westafrika hat und innerhalb des letztens Jahrtausends, in der Mitte des 15. Jahrhunderts, ihren Weg nach Europa fand. Während des 15. Jahrhunderts nahm sowohl die europäische Präsenz in Westafrika als auch die Entwicklung des transatlantischen Sklavenhandels und damit zwanghafte Überführungen von Afrikanern nach Europa stark zu. Solche Prozesse hätten eine hoch ansteckende Krankheit wie die Frambösie schnell verbreitet.

„Das Rätsel um den Ursprung von Syphilis bleibt weiterhin offen“, so Bos, „doch die Ökologie der Krankheiten im mittelalterlichen Europa ist deutlich komplexer, als wir denken.“

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