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Die Stadtformel

Städte folgen in vielen Aspekten universellen Wachstumsregeln. Diese sogenannten Skalengesetze sind gut belegt. Doch woher kommen sie? Wiener Wissenschaftler legen nun eine einfache und elegante Erklärung vor: Sie leiten urbane Skalengesetze aus

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Complexity Science Hub

(Wien, 17. März 2021) Wenn komplexe Systeme sich verdoppeln, tun das viele ihrer Teile nicht. Charakteristischerweise wachsen einige Aspekte nur um etwa 80 Prozent, andere um etwa 120 Prozent. Die erstaunliche Gleichförmigkeit dieser beiden Wachstumsraten ist als „Skalengesetze“ bekannt. Skalengesetze sind weit verbreitet. Von der Biologie bis zur Physik – und für Städte – sind inzwischen zahlreiche konkrete Beispiele belegt. Doch warum sie auftreten, ist nach wie vor nicht geklärt.

Eine neue Arbeit im Journal of The Royal Society Interface liefert für urbane Skalengesetze nun eine einfache Erklärung : Carlos Molinero und Stefan Thurner vom Complexity Science Hub Vienna (CSH) leiten sie aus der Geometrie einer Stadt ab.

Skalengesetze in Städten

Ein Beispiel für ein urbanes Skalengesetz ist die Zahl der Tankstellen: Verdoppelt sich in einer Stadt mit 20 Tankstellen die Bevölkerung, erhöht sich die Anzahl der Tankstellen nicht auf 40, sondern nur auf 36. Diese Wachstumsrate von etwa 0,80 für jede Verdooppelung gilt für einen Großteil der Infrastruktur-relevanten Aspekte einer Stadt. So wächst der Energieverbrauch pro Person oder der Flächenbedarf von Städten pro Verdoppelung nur um rund 80 Prozent. Da das Wachstum langsamer ist, als bei einer Verdopplung zu erwarten wäre, wird es als sublineares Wachstum bezeichnet.

Auf der anderen Seite steigen viele der „sozialeren“ Aspekte in Städten oft um mehr als das Doppelte. So ist belegt, dass Menschen in größeren Städten durchwegs mehr für die gleiche Arbeit verdienen, mehr telefonieren und sogar schneller zu Fuß gehen. Diese (super-lineare) Wachstumsrate liegt bei etwa 120 Prozent pro Verdopplung.

Bemerkenswert ist, dass diese zwei Werte – 0,8 und 1,2 – in Dutzenden stadtbezogenen Zusammenhängen und Anwendungen wieder und wieder auftauchen.

Es liegt alles an der Geometrie

Stefan Thurner und der frühere CSH-Forscher Carlos Molinero, der während seiner Zeit in Wien an dieser Publikation gearbeitet hat, haben herausgefunden, dass sich diese Skalengesetze durch die räumliche Geometrie von Städten erklären lassen. „Städte sind immer so gebaut, dass sich Infrastruktur und Menschen treffen,“ so Molinero, ein Urban-Science-Experte. „Wir denken daher, dass sich die Skalengesetze in Städten aus dem Zusammenspiel zwischen den Orten, an denen die Menschen leben, und den Räumen, die sie nutzen, um sich durch die Stadt zu bewegen -- im Wesentlichen also den Straßen -- ableiten lassen.“

„Die innovative Idee dieser Arbeit ist die Art und Weise, wie diese räumlichen Dimensionen zueinander in Beziehung stehen“, so Komplexitätsforscher und Physiker Stefan Thurner.

Fraktale Geometrie

Für das Verständnis dieser Beziehung bildeten die Forscher zunächst dreidimensional ab, wo sich Menschen in einer Stadt aufhalten. Sie nutzten dafür frei zugängliche Daten von Gebäuden in mehr als 4.700 Städten in Europa. „Wir kennen die meisten Gebäude in 3D, sodass wir abschätzen können, wie viele Stockwerke das Gebäude hat und wie viele Menschen darin wohnen“, so Thurner. Jeder Person in einem Haus ordneten die Wissenschaftler einen Punkt zu. Zusammen bilden diese Punkte eine „Menschenwolke“ innerhalb der Stadt.

Wolken sind Fraktale. Fraktale sind selbstähnlich, das heißt hineingezoomt sehen ihre Teile dem Ganzen sehr ähnlich. Auf Basis der Menschenwolke können die Wissenschaftler die fraktale Dimension der Bevölkerung einer Stadt bestimmen: Sie erhalten eine Zahl, die die Menschenwolke der jeweiligen Stadt beschreibt. Auf ähnliche Weise berechneten sie die fraktale Dimension des Straßennetzes der Städte.

„Obwohl diese zwei Zahlen von Stadt zu Stadt sehr unterschiedlich sind, haben wir herausgefunden, dass ihr Verhältnis zueinander eine Konstante ist“, so Thurner. Diese Konstante identifizieren die Forscher als den sublinearen Skalierungsexponenten, also etwa 0,8.

Abgesehen von der Eleganz der Erklärung hat die Erkenntnis auch einen großen praktischen Nutzen, betonen die Komplexitätsforscher. „Auf den ersten Blick wirkt das wie Magie, bei genauerem Hinsehen macht es aber vollkommen Sinn“, sagt Thurner. „Dieser Skalierungsexponent ist es, der bestimmt, wie sich viele Eigenschaften einer Stadt mit ihrer Größe verändern. Das ist relevant, weil viele Städte auf der Welt rasant wachsen.“

Eine Formel für nachhaltige Stadtplanung

Es wird erwartet, dass sich die Zahl der Menschen, die weltweit in Städten leben, in den nächsten 50 bis 80 Jahren ungefähr verdoppelt. „Die Skalengesetze zeigen uns, was diese Verdoppelungen in Bezug auf Löhne, Kriminalität, Erfindungsreichtum oder benötigte Ressourcen pro Person bedeuten -- das sind zentrale Informationen für die Stadtplanung,“ so Thurner.

Nun den Ursprung des Skalierungsexponenten zu kennen, könnte Stadtplaner:innen darin unterstützen, den gigantischen Ressourcenbedarf der wachsenden Städte niedrig zu halten. „Man könnte jetzt gezielt darüber nachdenken, wie man diese Zahl so klein wie möglich machen kann, zum Beispiel durch neue architektonische Lösungen in Kombination mit radikal veränderten Ansätzen bei der Mobilität und dem Bau von Infrastruktur“, ist Stefan Thurner überzeugt. Denn je kleiner der Skalierungsexponent, desto höher ist die Ressourceneffizienz von Städten.

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