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Lichtempfindliche Lamina-Neurone helfen dem Auge von Fruchtfliegen bei rasch einsetzender Dunkelheit

Lichtintensitätssensitive Neurone im visuellen System sind notwendig, um bei plötzlich schwächeren Lichtverhältnissen oder Wechsel zu Schatten korrekt zu sehen und angemessen zu reagieren

Peer-Reviewed Publication

Johannes Gutenberg Universitaet Mainz

Fruit Fly on a Ball

image: A fruit fly walking on an air-cushioned ball during a behavioral experiment. view more 

Credit: photo/©: Madhura Ketkar, Silies group

Das Sehen beruht ganz wesentlich auf der Wahrnehmung von Kontrasten. Wenn sich die Lichtverhältnisse ändern, braucht das Auge eine gewisse Zeit, um sich anzupassen und die Kontraste wieder zu erkennen. Diese Abläufe sind relativ gut erforscht. Nun haben Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU) bei der Fruchtfliege Drosophila melanogaster eine Funktion entdeckt, die das Verständnis von der visuellen Wahrnehmung erweitert. Die Ergebnisse erklären, weshalb das Auge auch bei plötzlich veränderten Lichtverhältnissen Kontraste korrekt einschätzen kann. "Dazu verfügen Fruchtfliegen in ihrem visuellen System über Nervenzellen, die auf Lichtintensität reagieren. Diese Nervenzellen sind notwendig, damit die Fliegen ihr Verhalten anpassen können, wenn sich Lichtreize dynamisch ändern", erklärt Prof. Dr. Marion Silies, Leiterin der Studie an der JGU.

Die sensorischen Systeme von Lebewesen haben sich so entwickelt, dass sie eher Veränderungen zur Kenntnis nehmen als absolute Faktoren. "Zum Beispiel wird eine Halskette im Laufe des Tages gar nicht mehr wahrgenommen, aber wir spüren es sofort, wenn sich ein Insekt auf unserer Haut niederlässt", erläutert Silies. Auch die Sehsysteme sind flexibel und dafür ausgelegt, auf Veränderungen in der Umgebung zu reagieren. Viele Nervenzellen sprechen dabei auf Kontraste an und weniger auf die Lichtintensität selbst. Daher gibt es viele Tiere, deren Sehsysteme in der Abend- oder Morgendämmerung, bei Tageslicht oder bei sich schnell verändernder Umgebung gut funktionieren.

Eine Schlüsselrolle spielt bei Wirbeltieren wie auch bei Wirbellosen die Leistung der Photorezeptoren in der Netzhaut. Sie stellen sicher, dass der Kontrast unabhängig von der Hintergrundbeleuchtung ermittelt wird. Diese retinale Adaption reicht allerdings nicht aus, um plötzliche Veränderungen zu erklären, wie sie beispielsweise bei einer schnellen Eigenbewegung stattfinden oder wenn der Blick einem Objekt vom hellen Sonnenlicht in den Schatten folgt. Dann ändert sich die Hintergrundhelligkeit in Millisekunden.

Kontrastsensitive Lamina-Neurone allein unzureichend, Lichtintensität als korrigierendes Signal

Die Neurobiologinnen und Neurobiologen um Prof. Dr. Marion Silies haben sich bei ihren Studien mit Drosophila auf die Abläufe konzentriert, die direkt im Anschluss an die Photorezeptoren im Nervensystem stattfinden. Sie haben sich insbesondere die Wege über die Lamina-Neurone angeschaut, die darauf spezialisiert sind, eine Verstärkung oder eine Verringerung von Kontrasten festzustellen. "Wir haben hier im visuellen System von Drosophila einen Zelltyp charakterisiert, der sensitiv für Lichtintensität ist. Kontrastsensitive neuronale Antworten allein genügen nicht, um bei sich verändernden visuellen Stimuli eine Verhaltensantwort auszulösen", schreiben die Autoren in einem Beitrag für das Fachjournal Current Biology. Erstautorin Madhura Ketkar erklärt dazu: "Wir zeigen, dass Lichtintensität ein korrigierendes Signal ist, das eingreift, wenn es plötzlich dunkel wird. Das heißt also, dass die Information über die Lichtintensität notwendig ist, um dann den Kontrast richtig zu erkennen." Bisher ging die Fachwelt davon aus, dass der relative Kontrast, wie er über andere Lamina-Neurone vermittelt wird, ausreicht, um bei schnellen Veränderungen der Lichtverhältnisse noch präzise zu sehen, etwa wenn ein Fußball vom Licht in den Schatten fliegt.

Lamina-Neurone L3 sind helligkeitssensitiv und besonders aktiv bei schwachem Licht

Der Nachweis gelang den Neurobiologen durch Messung der Kalzium-Signale in den Nervenzellen mithilfe der Zwei-Photonen-Mikroskopie. Damit lässt sich die Aktivität von einzelnen Nervenzellen in lebenden Fruchtfliegen ermitteln. "Bei unseren Messungen konnten wir feststellen, dass es Zellen gibt, die auf Lichtintensität und nicht auf Kontrast reagieren," so Silies. Diese Ergebnisse wurden dann durch Verhaltensexperimente untermauert, bei denen Fliegen auf einem kleinen luftgepolsterten Ball vor einem sich dynamisch verändernden Hintergrund laufen. "Wir konnten auch eindeutig zeigen, dass diese luminanzsensitiven Zellen notwendig sind, damit die Fliege reagieren kann, wenn der Hintergrund schnell dunkel wird", führt Silies aus. Fehlen diese Lamina-Neurone L3, bleibt die angemessene Verhaltensantwort aus.

Die Arbeit zeigt damit einen neuen Mechanismus auf, der eine korrekte Bildverarbeitung bei sich dynamisch verändernden Lichtverhältnissen beschreibt. Kontrastsensitivität allein genügt nicht, um die Verhaltensreaktionen auf visuelle Stimuli zu erklären. Lichtintensität, das primäre Eingangssignal für das visuelle System, ist unbedingt zusätzlich notwendig, um Bewegungen korrekt zu steuern, so das Fazit der Forscherinnen und Forscher. Sie nehmen an, dass es sich hierbei um eine generelle Strategie der visuellen Verarbeitung handelt, die das menschliche Auge wahrscheinlich ebenfalls verwendet.

Marion Silies ist seit 2019 Professorin für Neuroentwicklungsbiologie am Fachbereich Biologie und Fellow des Gutenberg Forschungskollegs (GFK) der Johannes Gutenberg-Universität Mainz.

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