News Release

Ergebnisse von einem internationalen Bohrprojekt deuten auf eine eisfreie Arktis in der Zukunft

Peer-Reviewed Publication

University of Massachusetts Amherst

image: Co-authors Julie Brigham-Grette and Pavel Minyuk celebrate when drilling reached the bottom of lake sediments at a depth of 318 m below the lake bottom. At that point, drilling began reaching into the 3.6-million-year-old impact rock. view more 

Credit: Photo courtesy of Tim Martin

Diese Pressemitteilung ist verfügbar auf Englisch.

AMHERST, USA; KÖLN, Deutschland; MAGADAN, Russland. – Analysen des längsten bisher in der kontinentalen Arktis gewonnenen Sedimentkerns geben erstmals einen fast lückenlosen Einblick in die arktische Klimadynamik vor 3,6 bis 2,2 Millionen Jahren. In diesem Zeitraum erfolgte der Übergang vom warmen Pliozän in das Quartär, das sogenannte "Eiszeitalter", in dem wir heute leben.

Die Ergebnisse eines internationalen Teams von Wissenschaftlern unter der Leitung von Julie Brigham-Grette (Universität von Massachusetts, USA), Martin Melles (Universität Köln) und Pavel Minyuk (NEISRI Magadan) wurden in dieser Woche in der Fachzeitschrift „Science" veröffentlicht. Sie tragen wesentlich zum Verständnis darüber bei, wann und wie eine bewaldete Arktis in eine eis- und schneebedeckte Tundrenlandschaft mit weit verbreitetem Dauerfrostboden übergegangen ist, und wie sie sich im Zuge des menschlich verursachten Klimawandels weiter entwickeln könnte.

Grundlage für diese Erkenntnisse sind Daten von einem Sedimentkern, der im Winter 2009 von dem eisbedeckten Elgygytgyn-See in der russischen Arktis von Tschukotka, 100 km nördlich des Polarkreises , erbohrt wurde. Der See entstand vor 3,6 Millionen Jahren durch einen Meteroriteneinschlag. Der Einschlag hat einen mehrere hundert Meter tiefen Krater mit einem Durchmesser von etwa 18 km hinterlassen, welcher sich mit Wasser gefüllt und seitdem ununterbrochen Sedimente aufgenommen hat. Zum Glück für die Geowissenschaftler liegt der See zudem in einer der wenigen Regionen der Arktis, die in den Eiszeiten des Quartärs nicht von vorrückenden Inlandeismassen überfahren wurden. Daher wurden die Sedimente am Grund des Sees nicht erodiert und reichen lückenlos bis 3,6 Millionen Jahre in die Vergangenheit, 25 mal weiter als die längsten Eiskerne vom grönländischen Eisschild, die maximal die letzten 140.000 Jahre überspannen.

"Eines unsere wichtigsten Ergebnisse ist, dass die Arktis im mittleren Pliozän und frühen Quartär, vor etwa 3,6 bis 2,2 Millionen Jahren, sehr warm war, zu einer Zeit, als nach Untersuchungen anderer Forschergruppen der CO2-Gehalt in der Atmosphäre nicht viel höher lag als heute" berichtet Brigham-Grette. „Daraus könnte sich andeuten, was wir für die Zukunft zu erwarten haben. In anderen Worten: Die Reaktionen des Erdsystems auf die steigende Konzentration von Treibhausasen wie Kohlendioxid in der Atmosphäre ist größer als bisher von Klimamodellen vorhergesagt."

Besonders wichtig für die Rekonstruktion des Klimas am Elgygytgyn-See sind die Gehalte und Zusammensetzungen von Pollen in den Sedimenten. Aus den Pollen lässt sich die Vegetation im Einzugsgebiet des Sees zum Zeitpunkt der Sedimentbildung rekonstruieren. Da Pflanzen wie die Hemlocktanne oder die Douglasie einen begrenzten Toleranzbereich bezüglich der Klimabedingungen haben, können aus den Pollenvergesellschaftungen absolute Werte für den Niederschlag und die Temperatur in der geologischen Vergangenheit berechnet werden.

So ließ sich beispielsweise rekonstruieren, dass im mittleren Pliozän die Sommertemperaturen am Elgygytgyn-See etwa 8 °C wärmer und die Niederschläge dreimal höher waren als heute. "Wir konnten zeigen, dass die hohen Temperaturen auch in Phasen auftraten, in denen Veränderungen der Erdbahnparameter weniger Sonneneinstrahlung in der Arktis verursacht haben", fasst Melles die Ergebnisse zusammen. Für den gleichen Zeitraum haben andere Forscher eisfreie Bedingungen in der Antarktis nachgewiesen, die etwa 1,2 Millionen Jahre angehalten haben. Daher resümieren die Autoren: „Die Klimageschichte an beiden Polen zeigen deutliche Gemeinsamkeiten, wobei jedoch die Geschwindigkeiten der Änderungen unterschiedlich sind".

Ein erster deutlicher Temperaturabfall lässt sich aus den Seesedimenten für die Zeit des globalen M2-Ereignisses vor etwa 3,3 Millionen Jahren nachweisen. Allerdings fielen die Temperaturen nicht unter die Mittelwerte für die vergangenen 12,000 Jahre. "Das heißt, dass das M2-Ereignis in der Arktis keine echte „Eiszeit" gewesen sein kann, wie für das Quartär bekannt", betont Minyuk, „das wirft neue Fragen zum Beginn der großflächigen Vereisung der Arktis auf".

Viele Forscher sind bisher davon ausgegangen, dass die Vergletscherung der Arktis vor etwa 2,7 Millionen Jahren deutlich intensiver wurde, als sich die Ozeanzirkulation im nördlichen Pazifik geändert hat. Die Daten vom Elgygytgyn-See zeichnen nun ein anderes Bild. Danach erfolgte vor 2,7 Millionen Jahren eine starke Abnahme der Niederschläge, die Temperaturen sanken dagegen nur schrittweise ab. „Dadurch haben sich die Eiszeit/Warmzeit-Zyklen, die wir für die jüngste Vergangenheit kennen, erst vor etwa 1,8 Millionen Jahren ausgebildet", erläutern die Wissenschaftler. „Wir konnten zeigen, dass die Sommertemperaturen zumindest bis 2,2 Millionen Jahre vor heute in den Warmphasen durchgehend höher lagen als heute".

Die Veröffentlichung in dieser Woche ist die zweite Publikation in „Science" zum Elgygytgyn-Bohrprojekt. In einer ersten Veröffentlichung im Juli 2012 wurden neue Erkenntnisse zur jüngeren Geschichte der Arktis präsentiert. „Mit der zweiten Veröffentlichung ist unser Ziel erreicht, erstmals ein lückenloses Bild der Entwicklung der arktischen Landgebiete seit 3,6 Millionen Jahren zu zeichnen, und die neuen Erkenntnisse durch den Vergleich mit Sedimentkernen aus dem Pazifik, dem Atlantik und der Antarktis in einen globalen Zusammenhang zu stellen", resümiert Brigham-Grette. „Die von uns durchgeführten Rekonstruktionen und Modellierungen der Klimageschichte stimmen mit Abschätzungen anderer Forscher überein, nach denen die Klimaanfälligkeit der Erde gegenüber der Konzentration von Treibhausgasen wie CO2 in der Atmosphäre größer sein könnte, als bisher von dem 2007 veröffentlichten Bericht des „Intergovernmental Panel on Climate Change" (IPCC) angenommen wurde.

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Das internationale „El'gygytgyn Drilling Project" wurde durch die folgenden Mittelgeber finanziert: Das „International Continental Scientific Drilling Program" (ICDP), die „National Science Foundation" (NSF) in den USA, das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF), das Alfred-Wegener-Institut (AWI) und das GeoForschungsZentrum (GFZ) in Deutschland, die „Russian Academy of Sciences Far East Branch" (RAS-FEB) und die „Russian Foundation for Basic Research" (RFBR) in Russland sowie das Bundesministerium für Wissenschaft und Forschung (BMWF) in Österreich. Für die Auswertearbeiten wurden zusätzliche Mittel unter anderem von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) bereit gestellt.


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