News Release

Honigbienen: Pflanzenschutzmittel stört Brutpflegeverhalten und Larven-Entwicklung

Einzigartige Langzeitvideos zeigen Kinderstube der Bienen im Stock

Peer-Reviewed Publication

Goethe University Frankfurt

Diagram/monitoring of brood cells

image: side view of the construction and camera view of the brood area. The brood area of the bees was filmed with a camera (green) through a dome lighting (grey). The specially designed hive (brown) was only 2.4 cm wide, so that the bees would raise young as quickly as possible (right) view more 

Credit: Paul Siefert/Bee Research Institute Oberursel/Goethe University Frankfurt

Durch eine neu entwickelte Videotechnik konnten Wissenschaftler der Goethe-Universität Frankfurt am Institut für Bienenkunde der Polytechnischen Gesellschaft erstmals die komplette Entwicklung einer Honigbiene im Bienenstock aufzeichnen. Dabei stellten die Forscher fest, dass bestimmte Pflanzenschutzmittel - Neonikotinoide - das Verhalten der Ammenbienen veränderten: Sie fütterten die Larven seltener. Die Larven benötigten bis zu 10 Stunden länger in ihrer Entwicklung. Eine längere Entwicklungszeit im Stock kann den Befall mit Bienenschädlingen wie der Varroa-Milbe begünstigen (Scientific Reports, DOI 10.1038/s41598-020-65425-y)

Honigbienen haben ein sehr komplexes Brutverhalten: Eine Putzbiene reinigt eine leere Wabe (Brutzelle) von den Resten der vorherigen Brut, bevor die Bienenkönigin ein Ei hineinlegt. Sobald die Bienenlarve geschlüpft ist, wird sie sechs Tage lang von einer Ammenbiene gefüttert. Dann verschließen die Ammenbienen die Brutzelle mit einem Deckel aus Wachs. Die Larve spinnt sich in einen Kokon ein und durchläuft eine Metamorphose, während der sie ihren Körper umformt und Kopf, Flügel und Beine entwickelt. Drei Wochen nach der Eiablage schlüpft die ausgewachsene Biene aus dem Kokon und verlässt die Brutzelle.

Wissenschaftler der Goethe-Universität Frankfurt konnten nun am Institut für Bienenkunde der Polytechnischen Gesellschaft durch eine neue Videotechnik erstmals die komplette Entwicklung einer Honigbiene im Bienenvolk aufzeichnen. Dazu konstruierten die Forscher einen Bienenstock mit einer Glasscheibe und konnten auf diese Weise viele Brutzellen von insgesamt vier Bienenvölkern gleichzeitig über mehrere Wochen hinweg mit einem speziellen Kamera-Aufbau filmen. Dabei nutzten sie Rotlicht, um die Bienen nicht zu stören, und zeichneten alle Bewegungen der Bienen an den Brutzellen auf.

Die Forscher interessierten sich dabei speziell für das Brutpflegeverhalten der Ammenbienen, deren Futter (ein Zuckersyrup) sie geringe Mengen an Pflanzenschutzmitteln, so genannten Neonikotinoiden, zusetzten. Neonikotinoide sind hoch wirksame Insektizide, die in der Landwirtschaft vielfach eingesetzt wurden und werden. In natürlicher Umgebung gelangen Neonikotinoide durch Nektar und Pollen, den die Bienen sammeln, in das Bienenvolk. Es ist bereits bekannt, dass diese Stoffe unter anderem die Navigationsfähigkeit und das Lernverhalten der Bienen stören. Einige Neonikotinoide hat die Europäische Union für den Pflanzenbau verboten, was seitens der Agrarindustrie kritisiert wurde.

Über Machine-Learning-Algorithmen, die die Wissenschaftler zusammen mit Kollegen des Centers for Cognition and Computation der Goethe-Universität entwickelten, konnten sie das Brutpflegeverhalten der Ammenbienen halbautomatisch auswerten und quantifizieren. Das Ergebnis: Bereits geringe Dosen der Neonikotinoide Thiacloprid oder Clothianidin führen dazu, dass die Ammenbienen an einigen Tagen der 6-tägigen Larvenentwicklung weniger häufig und somit kürzer fütterten. Manche der so aufgezogenen Bienen benötigten bis zu 10 Stunden länger bis zum Verschluss der Zelle mit einem Wachsdeckel.

„Neonikotinoide wirken auf das Nervensystem der Bienen, indem sie den Rezeptor für den Nerven-Botenstoff Acetylcholin blockieren", erklärt Dr. Paul Siefert, der in der Arbeitsgruppe von Prof. Bernd Grünewald am Institut für Bienenkunde Oberursel die Experimente durchgeführt hat. Siefert: „Wir konnten erstmals zeigen, dass Neonikotinoide auch das Sozialverhalten der Bienen verändern. Das könnte ein Hinweis auf die von anderen Wissenschaftlern beschriebenen Störungen der Brutentwicklung durch Neonikotinoide sein." Auch Parasiten wie die gefürchtete Varroa-Milbe (Varroa destructor) profitieren von einer verlängerten Entwicklung, denn die Milben legen ihre Eier in Brutzellen kurz vor der Verdeckelung ab: wenn diese länger geschlossen sind, können sich die Milbennachkommen ungestört entwickeln und vermehren.

Es sei allerdings noch zu klären, so der Wissenschaftler, ob die Verzögerung der Larvenentwicklung auch auf die Verhaltensstörung der brutpflegenden Bienen zurückzuführen sei oder ob sich die Larven durch veränderten Futtersaft langsamer entwickeln. Solchen Futtersaft produzieren die Ammenbienen und füttern die Larven damit. „Wir wissen aus anderen Studien aus unserer Arbeitsgruppe", so Siefert, „dass sich durch Neonikotinoide die Konzentration von Acetylcholin im Futtersaft verringert. Andererseits haben wir beobachtet, dass sich bei höheren Dosierungen auch die frühe Embryonalentwicklung im Ei verlängert, in einem Zeitraum also, in dem noch nicht gefüttert wird." Weitere Studien müssten klären, welche Faktoren hier zusammenwirken.

Die neue Videotechnik und die Auswertungs-Algorithmen jedenfalls bieten großes Potenzial für weitere Forschungsprojekte. Denn neben den Fütterungen konnten auch Heiz- oder Bauverhalten zuverlässig erkannt werden. Siefert: „Unsere innovative Technologie erlaubt es, grundlegende wissenschaftliche Erkenntnisse zu gewinnen über die sozialen Interaktionen im Bienenvolk, über die Biologie von Parasiten und die Sicherheit von Pflanzenschutzmitteln."

###

Publikation: Paul Siefert, Rudra Hota, Visvanathan Ramesh, Bernd Grünewald. Chronic within-hive video recordings detect altered nursing behaviour and retarded larval development of neonicotinoid treated honey bees. Sci. Rep. 10, 8727 (2020).

Video: Entwicklung einer Bienenlarve https://www.nature.com/articles/s41598-020-65425-y (Supplementary Material)

Bilder zum Download finden Sie unter folgendem Link: http://www.uni-frankfurt.de/88682581

Bildtexte:

Abb. 1 Schema/Aufsicht Bienenwaben - Seitenansicht des Aufbaus und Kamerabild des Brutbereichs. Der Brutbereich der Bienen wurde mit einer Kamera (grün) durch eine Dombeleuchtung (grau) hindurch gefilmt. Der speziell angefertigte Bienenstock (braun) war nur 3,5 cm breit, damit die Bienen möglichst rasch in den äußeren Zellen Brut aufzogen (rechts). Bild: Paul Siefert/Institut für Bienenkunde Oberursel/Goethe Universität Frankfurt

Abb. 2 Ausschnitte des Entwicklungsvideos einer Arbeiterin. Links oben: Die Königin legt ein Ei (Pfeil) in die Zelle. Rechts oben: Die heranwachsende Larve (Pfeil) wird mit Futtersaft gefüttert. Links unten: Die Metamorphose dauert etwa eine Stunde und beinhaltet das Aufreißen der alten Larvenhaut (Pfeil), darunter befindet sich die Puppe. Rechts unten: Die Puppe entwickelt sich bis zur letzten Häutung. Abschließend schlüpft die adulte Biene aus der Zelle. Bild: Paul Siefert/Institut für Bienenkunde Oberursel/Goethe Universität Frankfurt

Weitere Informationen: Dr. Paul Siefert, Institut für Bienenkunde Oberursel,Tochterinstitut der Polytechnischen Gesellschaft Frankfurt am Main, Fachbereich Biowissenschaften, Goethe-Universität Frankfurt am Main, Tel.: +49 (0)6171 21278, siefert@bio.uni-frankfurt.de, http://www.institut-fuer-bienenkunde.de

Aktuelle Nachrichten aus Wissenschaft, Lehre und Gesellschaft in GOETHE-UNI online (http://www.aktuelles.uni-frankfurt.de)

Die Goethe-Universität ist eine forschungsstarke Hochschule in der europäischen Finanzmetropole Frankfurt. 1914 mit privaten Mitteln überwiegend jüdischer Stifter gegründet, hat sie seitdem Pionierleistungen erbracht auf den Feldern der Sozial-, Gesellschafts- und Wirtschaftswissenschaften, Medizin, Quantenphysik, Hirnforschung und Arbeitsrecht. Am 1. Januar 2008 gewann sie mit der Rückkehr zu ihren historischen Wurzeln als Stiftungsuniversität ein hohes Maß an Selbstverantwortung. Heute ist sie eine der drei größten deutschen Universitäten. Zusammen mit der Technischen Universität Darmstadt und der Universität Mainz ist die Goethe-Universität Partner der länderübergreifenden strategischen Universitätsallianz Rhein-Main Das Institut für Bienenkunde ist eine Tochterinstitution der Polytechnischen Gesellschaft Frankfurt am Main und wird seit 1963 gemeinsam mit der Goethe-Universität betrieben. http://www.goethe-universitaet.de

Herausgeberin: Die Präsidentin der Goethe-Universität Redaktion: Dr. Markus Bernards, Referent für Wissenschaftskommunikation, Abteilung PR & Kommunikation, Theodor-W.-Adorno-Platz 1, 60323 Frankfurt am Main, Telefon 069 798-12498, Fax 069 798-763-12531, bernards@em.uni-frankfurt.de


Disclaimer: AAAS and EurekAlert! are not responsible for the accuracy of news releases posted to EurekAlert! by contributing institutions or for the use of any information through the EurekAlert system.