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Skelette aus dem frühkolonialen Mexiko offenbaren Herkunft und Geschichte dreier Afrikanischer Sklaven

Interdisziplinäre Studie erbringt Hinweise auf erzwungene Migration, körperliche Verletzungen und die Einschleppung von Infektionskrankheiten aus Afrika

Peer-Reviewed Publication

Max Planck Institute of Geoanthropology

Skulls

image: Skulls and dental decoration patterns for the three African individuals from the San José de los Naturales Royal Hospital. A. Skull from individual 150 (SJN001). B. Skull from individual 214 (SJN002). C. Skull from individual 296 (SJN003). D. Close-up of dental modification patterns for individual 150 (SJN001). E. Close-up of dental modification patterns for individual 214 (SJN002). F. Close-up of dental modification patterns for individual 296 (SJN003). view more 

Credit: Collection of San José de los Naturales, Osteology Laboratory, (ENAH), Mexico City, Mexico. Photo: R. Barquera & N. Bernal.

Fünf Jahrhunderte, nachdem Karl der I. von Spanien den Transport der ersten afrikanischen Sklaven in das Vizekönigreich Neuspanien genehmigte, ist die Abstammung der zu Hunderttausenden entführten und versklavten Menschen ein integraler Bestandteil des genetischen und kulturellen Erbes Amerikas. Die Herkunft und Erfahrungen dieser Menschen sind jedoch weitgehend unbekannt.

Eine aktuelle Studie in Current Biology untersucht mit einem interdisziplinären Ansatz die Hintergründe und Lebensbedingungen dreier afrikanischer Individuen, die in einem Massengrab auf dem Gelände des Hospital Real de San José de los Naturales gefunden wurden, einem Krankenhaus aus der frühen Kolonialzeit in Mexiko-Stadt, welches eigentlich der Behandlung der indigenen Bevölkerung diente. Die sterblichen Überreste dieser Individuen aus dem 16. Jahrhundert erzählen die Geschichten einiger der ersten Menschen, die in den frühen Jahren des europäischen Kolonialismus zwangsweise nach Amerika umgesiedelt wurden.

Multidisziplinäre Studie rekonstruiert das Leben von früh versklavten Afrikanern

Die drei Personen in der Studie fielen dem Forschungsteam zunächst durch auffällige Modifikationen an ihren Schneidezähnen auf. Über diese kulturelle Praktik wurde im Zusammenhang mit afrikanischen Sklaven berichtet, und sie kann heute noch bei einigen Bevölkerungsgruppen in Westafrika beobachtet werden.

"Indem wir Molekularbiologie, Isotopenanalyse und Methoden der Bioinformatik mit klassischen historischen, anthropologischen und archäologischen Belegen kombinierten, ist es uns gelungen, Einblicke in die Lebensgeschichte einiger der ersten afrikanischen Sklaven in Amerika zu gewinnen", sagt Johannes Krause, Direktor der Abteilung für Archäogenetik am Max-Planck-Institut für Menschheitsgeschichte (MPI-SHH).

Die genetische Analyse zeigte, dass alle drei Personen eine Afrikanische Y-Chromosom-Linie aufweisen, die heute in Afrika weit verbreitet ist, und auch häufig in der afroamerikanischen Bevölkerung vorkommt. Die Isotopenanalyse ergab, dass alle drei Personen außerhalb Mexikos geboren wurden und die Osteo-Biographien belegen jahrelange körperliche Misshandlungen und Überbeanspruchung bis zu einem vorzeitigen Tod. In ihrer Kombination legen diese Ergebnisse nahe, dass die untersuchten Individuen in Afrika geboren wurden und aus ihren Heimatländern in Subsahara-Afrika entführt und nach Amerika verschleppt wurden.

"Moderne Labortechniken erlauben es uns, unglaubliche Datenmengen aus nur wenig biologischem Material zu gewinnen. Die Vielfalt und Fülle an Informationen, die wir heute durch die Analyse eines einzigen Zahnes von einem Individuum für Archäologie, Anthropologie und Gesellschaft gewinnen können, ist etwas, wovon wir vor zehn Jahren nur träumen konnten", sagt Erstautor Rodrigo Barquera.

Die Ausbreitung von Krankheitserregern über den Atlantik

Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen aller drei Abteilungen und einer unabhängigen Forschungsgruppe am MPI-SHH sowie von zwei Laboren der Escuela Nacional de Antropología e Historia (ENAH) führten ihr Fachwissen zusammen, um die Geschichte dieser Menschen zu erzählen. Sie untersuchten dabei nicht nur deren Abstammung und Herkunft, sondern auch ihren Gesundheitszustand und ihre Erfahrungen zu Lebzeiten. Dem Team ist es dabei gelungen, zwei vollständige Genome von Krankheitserregern aus den Zähnen der Individuen zu rekonstruieren.

Ein Individuum war mit einem Stamm des Hepatitis-B-Virus (HBV) infiziert, der heute typischerweise in Westafrika vorkommt. "Obwohl wir keinen Hinweis darauf haben, dass sich diese HBV-Linie in Mexiko etabliert hat, ist dies der erste direkte Nachweis einer HBV-Einführung als Folge des transatlantischen Sklavenhandels und ermöglicht neue Einblicke in die phylogeografische Geschichte des Erregers", sagt Denise Kühnert, Leiterin der Forschungsgruppe tide am MPI-SHH.

Ein anderes Individuum war mit dem Bakterium Treponema pallidum pertenue infiziert, das Frambösie hervorruft, eine schmerzhafte, syphilisähnliche Infektionskrankheit, die Gelenke und Haut befällt. Derselbe Erregerstamm wurde zuvor bei einem Kolonisten europäischer Abstammung in Mexiko aus dem 17. Jahrhundert identifiziert, was auf die Etablierung dieser Krankheitslinie afrikanischen Ursprungs in der frühen Kolonialbevölkerung hindeutet.

"Diese Studie wirft Licht auf frühe Fälle von Frambösie nach der europäischen Kolonialisierung Amerikas", sagt Aditya Kumar Lankapalli vom MPI-SHH. "Künftige Studien“, fährt er fort, „sollten sich auf das Verständnis der Übertragung und Einführung dieses Erregers auf den amerikanischen Kontinent konzentrieren. Eine größere Anzahl an alten Treponema-Genomen mit hoher Abdeckung wird uns ein besseres Verständnis der Koevolution und der Anpassung dieses Erregers an den Menschen ermöglichen.“

"Interdisziplinäre Studien wie diese werden es in Zukunft erlauben, die Lebensgeschichte einzelner Individuen aus der Vergangenheit zu erzählen", fügt Thiseas C. Lamnidis, ebenfalls vom MPI-SHH, hinzu. Das Autorenteam hofft, dass zukünftige interdisziplinäre Untersuchungen weitere Einblicke in das Leben und Sterben und in das Erbe historisch unterdrückter Gruppen geben werden, deren Geschichten oftmals in Massengräbern verborgen liegen.

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