News Release

Die dunkle Seite des Unternehmergeistes

Forscher der Unis Jena und Stockholm weisen antisoziale Tendenzen von Unternehmern nach

Peer-Reviewed Publication

Friedrich-Schiller-Universitaet Jena

Martin Obschonka, Friedrich Schiller University Jena

image: The Jena psychologist Dr. Martin Obschonka, says about the new study "Individual Development and Adaptation": "The data suggest that a rebellious adolescent behavior against socially accepted standards and an early questioning of boundaries doesn't necessarily lead to criminal and anti-social careers. It can rather be the basis for a productive and socially acceptable entrepreneurship." view more 

Credit: Photo: Grit Hiersemann

Diese Pressemitteilung ist verfügbar auf Englisch.

Medienberichte über vorgeworfene antisoziale und delinquente Ver­haltensweisen von Unternehmern sind keine Seltenheit. Solche Berichte len­ken die Aufmerksamkeit auf mögliche "versteckte" antisoziale Tendenzen bei Unternehmertypen. Sind Unternehmer eine besonders eigennützige Spe­zies mit eige­nen moralischen Vorstellungen und ethischen Prinzipien? Gibt es den unternehmerischen "Homo oeco­no­micus" wirklich - einen Typus der zual­lererst auf den eigenen Nutzen und Gewinn schaut und sich von ethischen und sozialen Prinzipien lossagt? Und wenn ja: Was macht ihn aus? Diesen Fragen sind Psy­chologen der Friedrich-Schiller-Universität Jena (FSU) ge­meinsam mit schwe­dischen Kollegen der Universität Stockholm nachgegangen. Bei ihrer Su­che nach anti­sozialen Tendenzen in den Lebensläufen von Unter­nehmens­grün­dern kam das deutsch-schwedische Wissenschaft­ler­team zu ver­blüffenden Er­gebnissen.

Daten von 1.000 Kindern aus 40 Jahren

Für ihre Forschung haben die Psychologen eine schwedische Längsschnitt­stu­die genutzt. In der Untersuchung "Individual Development and Adaptation" wur­den alle Sechstklässler eines Jahrgangs (ca. 1.000 Kinder) einer schwedischen Mittelstadt erfasst und über einen Zeitraum von 40 Jahren begleitet. "Wir haben diese Daten auf die Frage hin untersucht, wer von den Studienteilnehmern spä­ter Unternehmergeist gezeigt und ein eigenes Unternehmen in der beruflichen Karriere gegründet hat und was diese Per­so­nen für ein Sozialverhalten an den Tag gelegt haben", sagt Dr. Martin Obschonka vom Center for Applied Deve­lop­­mental Science der Universität Jena. Dazu analysierten die Forscher um­fang­reiche Daten zu regelwidrigen Verhaltensweisen und Einstellungen der Pro­­banden. Diese antisozialen Tendenzen bezogen sich sowohl auf die Jugend als auch das Erwachsenenalter und es wurden zudem umfangreiche Archiv­da­ten zu polizeilich registrierten und sanktionierten Straftaten ausgewertet.

Die Forschungsergebnisse der Wissenschaftler zeigen ein differenziertes Bild, so die aktuelle Studie der Forscher, die jetzt vorab im Internet veröffentlicht wurde (DOI: 10.1016/j.jvb.2013.06.007).

Antisoziale Tendenzen in den Lebensläufen der Unternehmer nachweisbar

Auf der einen Seite ließen sich in der Tat systematische antisoziale Tendenzen in den Lebensläufen der Unternehmer nachweisen. Unternehmensgründer zeig­ten im Vergleich zu Anderen, die kein Unternehmen gründeten, verblüf­fen­de Wesens­züge. Die späteren Gründer hatten nämlich in ihrer Jugend eine deutlich höhere Ten­denz zu regelwidrigem Verhalten in der Schule, zu Hause im Umgang mit ihren Eltern sowie in der Freizeit. Beispiele hierfür waren häu­fi­geres Missachten elterlicher Verbote, häufigeres Schummeln und Schwänzen in der Schule, häufigerer Drogenkonsum oder auch häufigeres unerlaubtes "Mit­gehenlassen" von Dingen in Geschäften. Dieses Ergebnis zeigte sich vor allem bei den männlichen Studienteilnehmern.

"Doch die Studie zeigt eben auch noch eine andere Seite der Unterneh­mer­ty­pen", so Dr. Obschonka. Als Erwachsene gab es hinsichtlich der antisozialen Tendenzen nämlich keine Unterschiede mehr zu den Nicht-Gründern. Zudem verweisen die Daten darauf, dass sich die frühen antisozialen Tendenzen bei den Gründern auf "geringere Vergehen" beschränken. Die Analysen der poli­zeilichen Kriminalitätsdaten ergab nämlich, dass sich Unternehmer von Ande­ren in Bezug auf behördlich geahndetes kriminelles Verhalten nicht signifikant unterschieden - weder in der Jugend noch im Erwachsenenalter. "Die Daten sprechen dafür, dass im Durchschnitt die Unternehmer keine kriminelleren Kar­rieren haben als die Nicht-Gründer", erläutert Dr. Obschonka. "Ebenso zeigte sich kein Unterschied in antisozialen Einstellungen".

Unternehmensgründer verwirklichen In­novation und Visionen

Der Drang zu regelwidrigem Verhalten sei in der Jugend allerdings deutlich vor­handen. "Daraus folge jedoch nicht die Konsequenz, dass im Erwachsenenalter noch immer notorisch Regeln gebrochen und antisoziales Verhalten an den Tag gelegt werden müsse", sagt Martin Obschonka. Somit entsprechen die ge­fundenen Ver­haltensweisen von Unternehmensgründern eher nicht dem gängi­gen Vorurteil: "Es wird oft behauptet, dass sie von der Persönlichkeit her eher antisozial und nur auf ihren eigenen Nutzen be­dacht sind", beschreibt der Je­na­er Psychologe die Klischees. Für Unternehmensgründer ist es entscheidend, In­­novation und Visionen zu verwirklichen. Um diese ungewöhnlichen und risi­ko­behafteten Wege gehen zu können, gibt es oft eine Nähe zu Nonkonformis­mus. Dieser Mut zum Ungewöhnlichen und zum Neuen könnte seine Entwick­lungsvorläufer im regelwidrigen Verhalten in der Jugend haben. "Wie die Daten nahelegen, führt ein rebellierendes Verhalten gegen gesellschaftlich akzeptierte Normen in der Jugend und ein frühes Infragestellen von Grenzen nicht unbe­dingt zu kriminellen und antisozialen Karrieren, sondern kann durchaus die Grund­­­lage für späteren produktiven und sozial-verträglichen Unternehmergeist sein", so Dr. Obschonka. Eine Risikoneigung, die sich schon in der Jugend zeigt, spiele dabei eine wichtige Rolle für die späteren Entwicklungen.

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Original-Publikation:

Obschonka, M., Andersson, H., Silbereisen, R. K., & Sverke, M. (2013): Rule-breaking, crime, and entrepreneurship: A replication and extension study with 37-year longitudinal data. Journal of Vocational Behavior, 83, 386-396; vorab im Netz unter: http://dx.doi.org/10.1016/j.jvb.2013.06.007.

Kontakt:

Dr. Martin Obschonka
Institut für Psychologie der Friedrich-Schiller-Universität Jena
Center for Applied Developmental Science (CADS)
Semmelweisstr. 12, 07743 Jena
Tel.: 03641 / 945922
E-Mail: martin.obschonka@uni-jena.de


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