News Release

Internationales Wissenschaftlerteam löst biologisches Rätsel

Die Frage, ob ein bestimmtes Wasserstoffatom existiert, ist endlich gelöst

Peer-Reviewed Publication

University of Leicester

image: This is the core of the Munich reactor FRM II in use, showing the blue Cherenkov radiation. view more 

Credit: Copyright: J. Neuhaus / FRM II, TUM

Diese Pressemitteilung ist verfügbar auf Englisch.

Ein internationales Wissenschaftlerteam unter der Leitung der Universität Leicester hat ein seit langem bestehendes Rätsel in der Biologie gelöst. Es entschlüsselte die molekulare Struktur einer lebenswichtigen biologischen Verbindung. Die Diskussion, die in der wissenschaftlichen Community seit Jahren kontrovers geführt wurde, dreht sich am Ende um etwas so einfaches wie ein Wasserstoffatom: Ist es vorhanden oder nicht?

Der Streit dreht sich um eine bestimmte Form eines Enzyms das eine sogenannte Häm-Gruppe enthält (eine Häm-Gruppe findet sich auch im Hämoglobin), in deren Zentrum sich ein Eisenatom (Fe) befindet. Dieses wird oxidiert, wenn die Häm-Gruppe während der Reaktion den sogenannten Zwischenzustand I einnimmt. Dabei trieb die Biochemiker seit Jahrzehnten die Frage um, ob bei dieser Oxidation nur ein einzelnes Sauerstoffatom (O) beteiligt ist oder eine Hydroxyl-Gruppe (OH). Der Unterschied besteht in einem Wasserstoff-Ion. Oder in anderen Worten, in einem Proton.

Viel wurde in der wissenschaftlichen Literatur über diesen Zwischenzustand I der Häm-Gruppe geschrieben. Einige Wissenschaftler argumentierten, dass sie ein Proton trage, während andere darauf beharrten, dass kein Proton anwesend sei. Aber das ist keine Angelegenheit von pedantischen, Haare spaltenden Wissenschaftlern. Im Gegenteil: Die Lösung dieser fundamentalen Frage hilft dabei, die Oxidationsprozesse in lebenden Zellen zu verstehen, um damit bessere Medikamente entwickeln zu können.

Jetzt haben die Professoren Peter Moody und Emma Raven von der Universität Leicester zusammen mit Neutronenkristallographie-Experten des Institut Laue-Langevin in Grenoble, des Heinz Maier Leibnitz-Zentrums (MLZ) bei München und der Universität Manchester das Rätsel um den Zwischenzustand I des Häm gelöst. Sie nutzten dabei eine Methode, die bisher noch nicht für die Lösung des Problems herangezogen worden war: die Neutronenkristallographie.

„Um zu verstehen, wie Enzyme funktionieren, müssen wir wissen, wo die Wasserstoffatome sitzen", sagt Professor Moody. „Die Möglichkeit Zwischenzustände bei tiefen Temperaturen einzufangen und mit Hilfe der Neutronenkristallographie zu untersuchen, heißt, dass wir die Wasserstoffatome endlich sehen können."

Proteinstrukturen werden üblicherweise mittels der Röntgenkristallographie aufgeklärt, bei der Röntgenstrahlen auf die kristalline Protein-Probe treffen und das dabei entstehende Diffraktions-Muster benutzt wird, um die Struktur des Moleküls zu berechnen. Dieser Prozess funktioniert zwar im Allgemeinen gut, jedoch aus verschiedenen Gründen nicht, wenn es um die genaue Positionsbestimmung der Wasserstoffatome geht. Die Neutronen-Proteinkristallographie wurde ursprünglich in den 1960er Jahren entwickelt und benutzt Neutronen statt Röntgenstrahlen, was das Problem löst und das Auffinden einzelner Wasserstoffatome ermöglicht. Das Team benutzte Neutronen-Kryokristallographie, die als zusätzliche Herausforderung die Verwendung von sehr niedrigen Temperaturen mit sich bringt, um den Zwischenzustand des Enzyms einzufrieren.

Und des Rätsels Lösung ist: Das Sauerstoffatom der Häm-Gruppe im Zwischenzustand I ist NICHT protoniert. Aber überraschenderweise zeigten die Ergebnisse auch, dass eine der Aminosäure-Seitenketten (ein Histidin) des Moleküls zweifach protoniert IST. Das wiederum wirft weitere Fragen auf, was den Mechanismus der Sauerstoffaktivierung in Häm-Enzymen betrifft.

„Die exakte Struktur der Häm-Gruppe im Zwischenzustand I war seit langem eine schwierig zu lösende Frage innerhalb der wissenschaftlichen Community", sagt Professor Raven. „Über unsere Kollegen in Grenoble und München hatten wir glücklicherweise Zugang zu exzellenten Neutronen-Instrumenten in Europa. Das bedeutete, dass wir in der ausgezeichneten Lage waren, neue und andere Methoden auszuprobieren, die sehr gut funktioniert haben. Die Einkristall Elektronenspinresonanz-Experimente in Manchester waren wichtig, um die Stabilität des Zwischenzustands I zu verifizieren."

Die Publikation 'Neutron cryo-crystallography captures the protonation state of ferryl heme in a peroxidase' ist jetzt in Science erschienen.

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Die Forschungsarbeit wurde gefördert durch The Leverhulme Trust, BBSRC, The Wellcome Trust, Bruker UK Ltd, EU FP7, das Institut Laue-Langevin und das Heinz Maier-Leibnitz Zentrum.

Zusätzliche Zitate:

Matthew Blakely, LADI-III Wissenschaftler am Institut Laue-Langevin: "Es ist das erste Mal, dass ein eingefangener Zwischenzustand eines Enzyms mit Hilfe von Neutronen-Kryo-Kristallographie bestimmt wurde. Dies wirft ein neues Licht auf einen wohlbekannten aber bislang nicht genau verstandenen katalytischen Mechanismus. Die Zusammenarbeit zwischen der Universität Leicester, dem ILL in Grenoble und dem MLZ in München brachte auf diesem Gebiet führende europäische Wissenschaftler zusammen, die die Grenzen der Technik ausgereizt haben. Jetzt haben wir die Möglichkeit Daten bei verschiedensten Temperaturen zu sammeln und können so mit der Neutronenkristallographie viele weitere komplexe biologische Fragestellungen angehen."

Andreas Ostermann, Technische Universität München: „Das zeigt klar die einzigartigen Vorteile einer Strukturbestimmung mit Neutronen bei tiefen Temperaturen. Vermutete Reaktionsmechanismen können überprüft und die genaue Position der Wasserstoffatome in Zwischenzuständen von Enzymen bestimmt werden."

Tobias Schrader, Jülich Centre for Neutron Science (JCNS): „Wissenschaftliche Geräte für die Neutronenproteinkristallographie bieten jetzt dieselbe Probenumgebung wie übliche Röntgenproteinkristallographie-Geräte. Das bedeutet, dass im Prinzip alle Messungen, die bisher mit Röntgenstrahlen durchgeführt werden, nun auch mit Neutronen durchgeführt werden können, gerade wenn es nötig ist, die Position der Wasserstoffatome herauszufinden, die mittels Röntgenstrahlen nicht bestimmt werden können. Dies zeigt klar die Komplementarität von Röntgenstrahlen und Neutronen."

Alistair l. Fielding, EPSRC National ESR Service, Universität Manchester: "Die Charakterisierung von enzymatischen Zwischenzuständen ist sehr schwierig und erfordert eine Vielzahl von Methoden. In dieser Arbeit haben wir eine Reihe von biophysikalischen Techniken eingesetzt, die alle wichtig für den Erfolg waren."

Hintergrundinformation:

Eisen ist lebenswichtig. Das Eisen im Hämoglobin ist in einem organischen Molekül namens Häm gebunden. Das Häm selbst wiederum ist in einem größeren Molekül eingebunden, dem Globin (daher Hämo-globin). Das Leben auf der Erde ist auf die Reaktion von Sauerstoff mit Metallatomen angewiesen, sehr häufig finden diese Reaktionen an dem Eisenatom in katalytisch aktiven Häm-Enzymen statt.

Im Körper spielen die Häm-Enzyme vielfältige Rollen, wie bei der Zellatmung, dem Abbau von Medikamenten oder beim Entfernen von Giften wie Wasserstoffperoxid. Während der Reaktion wird das Eisen hoch oxidiert und geht eine kurzlebige Bindung mit einem Sauerstoffatom ein. Die Frage, die Biochemiker seit Jahrzehnten zu klären versuchten, ist nun, ob dieser Sauerstoff mit einem Wasserstoffatom verbunden ist (d.h. Fe(IV)-OH)oder nicht (d.h. Fe(IV)=O). Der Unterschied ist also nur ein Wasserstoffatom.

Das Enzym, das in der Studie unter der Leitung der Universität Leicester untersucht wurde, war die Cytochrom-c-Peroxidase (CCP), die isoliert, gereinigt, kristallisiert und dann aktiviert wurde, damit sie den Zwischenzustand I annimmt. Der Zwischenzustand I hat normalerweise eine Halbwertszeit von nur wenigen Stunden bei Zimmertemperatur, wurde jedoch für das dreiwöchige Experiment mit Hilfe von kaltem Stickstoffgas auf -173°C gekühlt. Der Kristall wurde in schwerem Wasser (D2O) gewaschen, um einige der Wasserstoffatome mit dem schwereren Isotop Deuterium (Wasserstoff mit einem Neutron) zu ersetzen und somit eindeutigere Ergebnisse zu erhalten.

Die Neutronenquelle, die für die Entschlüsselung des Zwischenzustand I benutzt wurde, war die Forschungs-Neutronenquelle Heinz Maier-Leibnitz (FRM II) an der Technischen Universität München. Die Daten wurden am Instrument BioDiff gewonnen. Die Struktur des Zwischenzustand I konnte dann verglichen werden mit dem Grundzustand der CCP, welcher am Instrument LADI-III am Institut Laue-Langevin in Grenoble gemessen und aufgeklärt wurde. Kollegen des ESR Service an der Universität Manchester benutzten die "Elektronenspin Resonanz" (ESR), um zu beweisen, dass die Zwischenstruktur während der gesamten Dauer des Experiments bei -173°C stabil war.


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