News Release

Die Covid-Kurve zerschmettern

Wissenschafter am IST Austria zeigen, dass kleine Unterschiede im Verhalten über Erfolg oder völliges Versagen der Seuchenbekämpfung entscheiden.

Peer-Reviewed Publication

Institute of Science and Technology Austria

Fluid and turbulence physicist Björn Hof

image: Fluid and turbulence physicist Björn Hof and his team applied the statistical methods to epidemic spreading and discovered surprising features of the infection curves. view more 

Credit: IST Austria/Nadine Poncioni

Was hat Strömungsphysik mit der Ausbreitung des Corona-Virus zu tun? Whirlpools und Pandemien scheinen ziemlich unterschiedliche Dinge zu sein, besonders was den Komfort betrifft. Doch die neuesten Erkenntnisse über die Ausbreitung von Epidemien kommen von Physikprofessor Björn Hof und seiner Forschungsgruppe am Institute of Science and Technology Austria (IST Austria), die sich auf Flüssigkeiten und turbulente Strömungen spezialisiert haben. Als Hof Anfang letzten Jahres seinen geplanten Besuch in Wuhan, der Heimatstadt seiner Frau, absagen musste, verlagerte sich sein Fokus schlagartig auf die Ausbreitung von Epidemien.

„Meine Gruppe untersucht normalerweise turbulente Strömungen in Rohren und Kanälen", erklärt er. „In den letzten 10 Jahren haben wir gelernt, das Auftreten von Strömungsturbulenzen mit statistischen Modellen zu beschreiben, die gleichermaßen zur Beschreibung von Waldbränden und Epidemien verwendet werden." Angesichts der Erfahrung war die Programmierung eines Epidemiemodells für Burak Budanur, den Theoretiker und Computerexperten der Gruppe, eine einfache Übung.

Die Epidemiekurve flacht nicht ab, sie bricht zusammen

Modellierungen von Epidemien legen nahe, dass die Stärke der Vorkehrungen einen kontinuierlichen Effekt auf das Maximum der Ausbreitungszahlen hat. „Die Erwartung ist, dass die Kurve gemäß dem Grad der sozialen Distanzierung abflacht", sagt Davide Scarselli, Erstautor der Arbeit. Als er jedoch die Epidemie simulierte und dabei gezielt die endlichen Ressourcen bei Testungen und Kontaktverfolgung berücksichtigte, ergab sich ein ganz anderes Bild. Das Maximum der infizierten Personen nahm zunächst wie erwartet ab, brach dann aber plötzlich auf fast Null zusammen, als die Eindämmung einen bestimmten Schwellenwert überschritt. In einem Fall infizierte sich etwa die Hälfte der Menschen während der Epidemie. In dem anderen Fall erkrankten nur drei Prozent. Überraschenderweise war es unmöglich, ein Ergebnis zwischen diesen beiden Ergebnissen zu erhalten: Entweder gibt es einen Ausbruch von beträchtlicher Größe, oder es gibt fast gar keinen.

Misserfolg führt zu überexponentiellem Wachstum

Das Testen von bekannten Kontaktpersonen eines Infektionsfalls ist eine der wirksamsten Möglichkeiten, eine Epidemie zu verlangsamen. Allerdings ist die Anzahl der Fälle, die jeden Tag aufgespürt werden können, begrenzt, ebenso wie die Anzahl der Testungen, die durchgeführt werden können. Wie die Forscher herausfanden, hat das Überschreiten dieser beiden Grenzen während der Epidemie weitreichende Konsequenzen. „Wenn das passiert", sagt Timme, „beginnt sich die Krankheit in den unkontrollierten Gebieten schneller auszubreiten und das führt unweigerlich zu einem superexponentiellen Anstieg der Infektionen." Schon exponentielles Wachstum ist immens. Es bedeutet eine Verdoppelung der Infektionen alle paar Tage. Überexponentiell bedeutet aber, dass auch die Rate der Verdopplung immer schneller wird.

Solange diese Beschleunigung vermieden werden kann, liegen die Ansteckungskurven auf einem niedrigen Niveau. Interessanterweise macht es relativ wenig aus, wie groß der „Sicherheitspolster" bei den Kapazitäten des Contact Tracings sind. Die Zahlen bleiben vergleichsweise niedrig. Wird der Grenzwert dagegen nur durch einen einzigen Fall überschritten, führt das superexponentielle Wachstum dazu, dass die Gesamtfallzahlen auf das Zehnfache ansteigen.

Minimale Unterschiede und unverhältnismäßige Effekte

„Wie die meisten Nationen hat auch Österreich nicht frühzeitig auf die zweite Welle reagiert. Nachdem im vergangenen September nicht mehr alle Kontaktpersonen nachverfolgt werden konnten, war es abzusehen, dass die Fallzahlen bald überproportional ansteigen würden", sagt Scarselli. Im Laufe des letzten Jahres hat sich jedoch gezeigt, dass eine frühzeitige und entschlossene Reaktion unerlässlich ist, wenn man mit einem exponentiellen Wachstum konfrontiert ist. Die Studie des Teams zeigt, dass begrenzte Testkapazitäten das Timing noch entscheidender machen. Der Unterschied zwischen Erfolg und Misserfolg eines Lockdowns ist minimal, oder wie Budanur es ausdrückt: „Eine Maßnahme, die gestern noch funktioniert hätte, braucht nicht nur viel länger, um ihre Wirkung zu entfalten, sondern kann auch komplett scheitern, wenn sie einen einzigen Tag zu spät umgesetzt wird." Hof ergänzt: „Die meisten europäischen Länder reagieren erst, wenn die Kapazitäten der Intensivmedizin bedroht sind. Eigentlich müssten die politischen Entscheidungsträger_innen auf ihre Kontaktverfolgungsteams achten und abriegeln, bevor dieser Schutzschild zusammenbricht."

Zuletzt hat sich die Forschungsgruppe mit optimalen Strategien beschäftigt, bei denen Lockdowns als präventives Werkzeug und nicht als Notbremse eingesetzt werden. Ein Forschungspapier, das die optimale Strategie skizziert, um sowohl die Anzahl der infizierten Personen als auch die benötigte Lockdown-Zeit zu minimieren, ist derzeit in Arbeit.

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