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Kartierung genetischer Steuerelemente im Kleinhirn

Heidelberger Wissenschaftler entschlüsseln genetische Programme, die für die Entwicklung dieses Organs verantwortlich sind

Peer-Reviewed Publication

Heidelberg University

Kartierung genetischer Steuerelemente im Kleinhirn

image: Ein Atlas genetischer Steuerelemente im Kleinhirn: Die meisten Elemente sind hochspezifisch für einzelne Zelltypen und Entwicklungsstadien. view more 

Credit: Forschungsgruppe Prof. Dr. Henrik Kaessmann

Das Kleinhirn von Säugetieren galt lange fast ausschließlich als Zentrale für die Bewegungssteuerung, ist nach aktuellen Erkenntnissen jedoch auch an vielen höheren Hirnfunktionen beteiligt. Ein internationales Forscherteam unter Leitung von Prof. Dr. Henrik Kaessmann vom Zentrum für Molekulare Biologie der Universität Heidelberg (ZMBH) hat nun die genetischen Programme entschlüsselt, die die Entwicklung von Zelltypen des Kleinhirns vor und nach der Geburt kontrollieren. Ihre Untersuchungen an der Maus verglichen die Molekularbiologen mit entsprechenden Daten zum Opossum. So konnten sie fundamentale genregulatorische Netzwerke offenlegen, die bereits in der Frühzeit der Säugetierevolution vor mehr als 160 Millionen Jahren entstanden sein müssen. Die Studie wurde in enger Zusammenarbeit mit Prof. Dr. Stefan Pfister vom Hopp-Kindertumorzentrum Heidelberg (KiTZ) durchgeführt.

Die Entwicklung von Säugetierorganen wird durch das fein abgestimmte und komplexe Zusammenspiel der Aktivität sehr vieler verschiedener Gene – auch Genexpressionsnetzwerke genannt – kontrolliert. „Während diese entwicklungsabhängige Genexpression für das Kleinhirn schon relativ gut untersucht worden ist, so war weitgehend unbekannt, wie sie genetisch gesteuert wird“, erläutert Dr. Mari Sepp, Postdoktorandin in Prof. Kaessmanns Forschungsgruppe „Evolution des Säugetiergenoms“. Den Wissenschaftlern ist es nun gelungen, auf Zellebene die Steuerelemente aller aktiven Gene über den gesamten Zeitraum der Kleinhirnentwicklung bei Mäusen hinweg zu kartieren. Sie nutzten dazu hochmoderne Einzelzell-Sequenziertechniken.

Auf der Grundlage dieser Daten konnten sie anschließend mithilfe von bioinformatischen Analysemethoden die regulatorischen Programme entschlüsseln, die die Genexpressionsnetzwerke aller Zellen und somit die Entwicklung des Kleinhirns steuern. Die Wissenschaftler identifizierten mehr als 200.000 Steuerelemente, von denen die meisten hochspezifisch für einzelne Zelltypen und Entwicklungsstadien sind. Einige dieser Elemente werden jedoch in mehreren Zelltypen angeschaltet, vor allem in frühen Entwicklungsstadien.

Um auch die Evolution dieser genregulatorischen Programme nachvollziehen zu können, verglichen die Forscher ihre Ergebnisse für die Maus mit entsprechenden Daten für das Opossum – ein Beuteltier, das mit Säugetieren wie der Maus oder dem Menschen vor etwa 160 Millionen Jahren einen gemeinsamen evolutionären Urahn hat. Nach Angaben von Prof. Kaessmann deckte dieser Vergleich ein zeitliches Muster in der Entwicklung verschiedener Zelltypen auf. „Die genregulatorischen Programme aller Zelltypen weichen zwischen den Arten im Laufe der Entwicklung immer mehr voneinander ab“, betont Ioannis Sarropoulos, Doktorand in der Forschungsgruppe von Henrik Kaessmann.

Nach Angaben der Wissenschaftler untermauern diese Erkenntnisse für einzelne Zelltypen eine richtungsweisende Hypothese zur Embryonalentwicklung aus dem 19. Jahrhundert: Der deutsch-baltische Naturforscher Karl Ernst von Baer (1792 bis 1876) erkannte, dass die Embryonen verschiedener Wirbeltierarten umso schwerer voneinander zu unterscheiden sind, je jünger sie sind, es also offenbar zu einer fortschreitenden Abweichung in der Entwicklung von Wirbeltierembryonen kommt.

Die Forschungsergebnisse wurden in der Fachzeitschrift „Science“ veröffentlicht. An der Studie waren neben den Heidelberger Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern des ZMBH und des KiTZ, einer gemeinsamen Einrichtung von Deutschem Krebsforschungszentrum, Universitätsklinikum Heidelberg und Universität Heidelberg, auch Forscher des Museums für Naturkunde Berlin, des Francis Crick Institute in London (Großbritannien) und des Centre for Genomic Regulation in Barcelona (Spanien) beteiligt. Gefördert wurden die Arbeiten vom Europäischen Forschungsrat. Die Forschungsdaten sind in einer frei zugänglichen Datenbank abrufbar.


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