News Release

Ungleicher Fahrradboom: Fahrrad wird immer mehr zum Statussymbol

Peer-Reviewed Publication

University of Cologne

Stadtbewohner:innen in Deutschland mit Abitur fuhren 2018 mit 70 Minuten pro Woche durchschnittlich doppelt so viel Fahrrad wie noch 1996. Bei Bewohner:innen weniger urbaner Gegenden ohne Abitur hat sich in diesem Zeitraum aber kaum etwas verändert. Stadtbewohner:innen mit Abitur fahren heute dreimal so lange Fahrrad wie Bewohner:innen ländlicher Gegenden ohne Abitur. 
Der Soziologe Dr. Ansgar Hudde vom Institut für Soziologie und Sozialpsychologie (ISS) der Universität zu Köln hat zwei Studien zum Zusammenhang von Fahrradmobilität und Bildungsniveau erstellt, und dafür mehr als 800.000 Wege ausgewertet, die mehr als 55.000 Befragte zurückgelegt haben. Die Daten stammen aus dem deutschen Mobilitätspanel (MOP) und dem Sozioökonomischen Panel (SOEP) für die Jahre 1996 bis 2018 sowie der BMVI-Studie „Mobilität in Deutschland 2017“. Seine Ergebnisse sind in zwei Artikeln zusammengefasst, die in den Fachzeitschriften Journal of Transport Geography sowie Sociology veröffentlicht wurden.
Einen großen Teil des Fahrradbooms führt der Soziologe auf die Bildungsexpansion zurück. „Die Daten zeigen einen starken Zusammenhang zwischen Radmobilität und Bildungsniveau“, sagt Hudde. „Es gibt immer mehr Menschen mit höherer Bildung, und die fahren immer mehr Fahrrad. Beide Trends setzen sich aktuell ungebremst fort.“
Dr. Ansgar Hudde hat für Bewohner:innen von Städten auch untersucht, warum Menschen mit höherer Bildung das Fahrrad häufiger nutzen als Menschen mit niedrigerer Bildung. Eine Teilerklärung dafür ist, dass Personen mit Hochschulabschluss etwas häufiger in fahrradfreundlichen Städten und Stadtvierteln wohnen. Die Auswertung der statistischen Daten macht aber deutlich, dass sich die Bildungsunterschiede auch innerhalb von Städten und Stadtvierteln zeigen. „Personen mit Hochschulabschluss nutzen in der Stadt das Fahrrad fast 50 Prozent häufiger als Personen ohne Hochschulabschluss, wobei Faktoren wie Alter, Geschlecht und Wohnort bei der Untersuchung konstant gehalten wurden. Die Ergebnisse deuten insgesamt klar darauf hin, dass es der Bildungsstand selbst ist, der zu mehr Radfahren führt“, so Ansgar Hudde. 
Daher ist Hudde der Frage nachgegangen, warum der Bildungsstand beeinflusst, ob und wie viel Menschen Fahrrad fahren. Die bisherige Forschung hat gezeigt, dass Menschen ihr Verkehrsmittel nicht nur nach den Kosten oder der Reisezeit auswählen. Vielmehr wählen sie das Verkehrsmittel auch danach, was es symbolisiert und welche Botschaft man damit an Dritte sendet. Tendenziell kann ein teures Auto viel Reichtum und beruflichen Erfolg, aber wenig Gesundheits- oder Umweltbewusstsein ausdrücken. „Beim Fahrrad ist es genau umgekehrt. Personen mit höheren Bildungsabschlüssen laufen meist nicht Gefahr, dass sie als arm oder beruflich erfolglos wahrgenommen werden – selbst dann, wenn sie mit einem günstigen Rad unterwegs sind. Sie können mit dem Fahrrad vielmehr an Status gewinnen, wenn sie sich als modern, gesundheits- und umweltbewusst zeigen“, erläutert Hudde. „Dagegen könnten Personen mit weniger hohen Bildungsabschlüssen ein teures Auto eher als Statussymbol nutzen, um zu zeigen, dass sie es zu Wohlstand gebracht haben.“
Die Befunde haben weitreichende gesellschaftliche Bedeutung. Menschen mit niedrigeren Bildungsabschlüssen verfügen häufiger über geringe finanzielle Ressourcen und haben im Durchschnitt einen schlechteren Gesundheitszustand. Das Fahrrad als kostengünstiges und gesundes Fortbewegungsmittel könnte solche Ungleichheiten mildern – aber das Gegenteil ist der Fall. Viele Städte fördern den Radverkehr und verteilen Straßenraum vom Auto- zum Radverkehr hin um. Im Moment kommen diese Maßnahmen aber in erster Linie den Höhergebildeten zugute. Dr. Ansgar Hudde resümiert: „Wenn es der Politik gelingt, das Radfahren für alle attraktiv zu machen, bedeutet das: lebenswertere Orte, bessere Gesundheit, mehr Umweltschutz und weniger soziale Ungleichheit.“
 


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