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Schulen und die Pandemie: Modell für einen sicheren Betrieb

Entwickelt in der Corona-Zeit, aber jederzeit erweiterbar: Österreichische WissenschaftlerInnen entwickeln Simulationsmodell für das sichere Offenhalten von Schulen während einer Pandemie.

Peer-Reviewed Publication

Complexity Science Hub

image: The image on the right shos a primary school with afternoon daycare (8 classes, 19 pupils each, 16 teachers + respective family members). On the right is a typical secondary school (28 classes with 24 children each, 70 teachers + respective family members) view more 

Credit: The authors of the study

[Wien, 26. Jänner 2022] Vor einem Jahr gingen die Wogen weltweit hoch: Ist es verantwortungslos, Kinder während der Pandemie in die Schule zu schicken, oder gibt es Maßnahmen, welche Corona-Cluster so effizient verhindern, dass Schulen offenbleiben bzw. wieder öffnen können?

Ein Forschungsteam am Complexity Science Hub Vienna (CSH) wollte es genau wissen. Jana Lasser, damals im Team von Peter Klimek am CSH und er MedUni Wien tätig und jetzt an der TU Graz, entwickelte ein eigenes Schul-Simulationsmodell, das die Verbreitungswege und -wahrscheinlichkeiten einer Coronainfektion in verschiedenen Schulsettings zeigt, und das die Wirksamkeit verschiedener Maßnahmen(bündel) durchspielt.

Für die heute im Fachjournal Nature Communications erscheinende Studie modellierte das CSH-Team die Delta-Virusvariante, die in Österreich bis vor Weihnachten die vorherrschende Variante war. „Wir können unser Modell aber jederzeit anpassen und verschiedenste andere Szenarien simulieren“, so die Komplexitätsforscherin und Erstautorin.

Das Forschungsteam entwickelte und überprüfte das „Schul-Tool“ anhand von Daten zu 616 Corona-Clustern, die im Herbst 2020 an österreichischen Schulen aufgetreten waren. Die anonymisierten Daten wurden von der AGES beigesteuert.

Um ein Gefühl dafür zu bekommen, welche Maßnahmen an Schulen realistisch umgesetzt werden können, führten die ForscherInnen außerdem mehrere Interviews mit SchulleiterInnen und LehrerInnen.

 

Die Vielzahl an Möglichkeiten macht das Unterfangen komplex

Als erstes definierten die ForscherInnen unterschiedliche Schultypen: Wie viele Klassen hat eine Schule, wie groß sind die Klassen, wie viele LehrerInnen gibt es an der Schule usw. „Wir unterscheiden in unserem Modell Grundschule (Volksschule), Grundschule mit Nachmittagsbetreuung, Unterstufen, Unterstufen mit Nachmittagsbetreuung, Oberstufen, sowie Gymnasien mit Unter- und Oberstufe“, so Lasser.

Als zweites können diese virtuellen Schulen unterschiedliche Maßnahmen ergreifen, um Cluster möglichst zu verhindern. Das sind das Tragen von Masken, regelmäßiges Lüften, regelmäßiges Testen der Kinder und Lehrkräfte sowie die Halbierung der Klassen. Außerdem können die ForscherInnen verschiedene Durchimpfungsraten bei Lehrpersonal und Kindern simulieren.

 

Auf den richtigen Mix kommt es an

Ein klares Ergebnis der Arbeit: Maßnahmen und Maßnahmen-Pakete müssen an den Schultyp angepasst werden. „Mittelschulen und Gymnasien sind meist größer, haben mehr Kinder in den Klassen und wechselnde LehrerInnen, daher gibt es deutlich mehr Ansteckungsmöglichkeiten – wie sich eine Infektion durch die Schule verbreitet, kann man in der zugehörigen Web-basierten Visualisierung, die wir auch entwickelt haben, schön beobachten“, so Lasser. Die höhere Ansteckungswahrscheinlichkeit bedeutet, dass größere Schulen mehr Maßnahmen brauchen als Volksschulen.

Unter Delta galt: Wenn 80 Prozent der Lehrkräfte geimpft sind, können Volksschulen und Unterstufen auch bei ungeimpften Kindern mit Lüften, Gesichtsmasken und Klassen-Verkleinerung die Reproduktionsrate R unter 1 halten (eine erkrankte Person steckt also weniger als eine weitere an). Ist auch die Hälfte der Kinder geimpft, können mit diesen Maßnahmen auch alle anderen Schultypen R<1 halten – und damit relativ sicher öffnen. An größeren Schulen sollte beim Testen ein Fokus auf dem Lehrpersonal als möglicher Ansteckungsquelle liegen, da diese über den Tag verteilt viele Kontakte haben und das Virus in verschiedene Klassen tragen können, so die ForscherInnen.

„Hier sehen wir die Wirksamkeit des sogenannten Schweizer-Käse-Modells“, erklärt Komplexitätsforscher Peter Klimek (CSH & MedUni Wien). „Keine einzige dieser Maßnahmen schützt hundertprozentig vor einer Ansteckung, aber mehrere zusammengefasst erhöhen den Schutz deutlich.“

Außerdem: „Die richtige Umsetzung der Maßnahmen ist das A und O“, so Klimek. „Schon eine kleine Abweichung – zum Beispiel, wenn seltener gelüftet wird oder ein paar Kinder nicht beim Testen mitmachen –, reicht aus, um die Clustergrößen nicht ein bisschen, sondern sofort exponentiell wachsen zu lassen.“

Von allen Einzelmaßnahmen (außer dem Impfen) verhindert regelmäßiges Lüften in einer Klasse ein Cluster am besten – sofern wirklich alle 45 Minuten für fünf Minuten die Fenster geöffnet werden. Ebenfalls hoch wirksam ist Testen zwei- bis dreimal pro Woche; im Modell wurde mit Antigen-Tests gerechnet.

 

Omikron verteilt die Karten neu

Und wie sieht es mit der deutlich ansteckenderen Omikron-Variante aus? „In den letzten Tagen hat mein Computer geglüht, weil ich mir das anlässlich der Veröffentlichung unseres Papers unbedingt auch noch ansehen wollte“, erzählt Jana Lasser. „Meine – jetzt natürlich noch nicht begutachteten – Ergebnisse zeigen, dass wir durch die stark erhöhte Infektiosität von Omikron alle verfügbaren Maßnahmen in allen Schultypen brauchen, um große Ausbrüche an Schulen zu verhindern. Nur Volksschulen können eine Maßnahme weglassen, zum Beispiel das Teilen von Klassen.“

Wer selbst rechnen will: „Unsere Codes können frei aus dem Netz herunterladen werden“, ergänzt Klimek. „Gute CoderInnen könnten das Modell sogar für die eigene Schule maßschneidern. Die jeweiligen Zahlen – Infektiosität einer Krankheit, Zahl der Klassen, Kinder und Lehrkräfte, die einzelnen Maßnahmen – können nach Bedarf angepasst werden.“ 

Eine gut gemachte Visualisierung ihres Modells sieht Jana Lasser außerdem als perfektes Anschauungsmaterial für Eltern, Kinder, SchulleiterInnen oder Behörden. „Es ist immer wieder eindrucksvoll zu sehen, wie schnell und auf welchen Wegen sich Viren in einer Gruppe verbreiten, und wie sich die Ausbreitungsdynamik ändert, wenn einzelne oder mehrere Maßnahmen eingeführt werden. Damit könnte man viel Überzeugungsarbeit leisten“, ist die Wissenschaftlerin überzeugt. 

Die am CSH entwickelte Visualisierung des Modells, noch auf der Alpha-Variante basierend, wurde vor einem Jahr unter https://vis.csh.ac.at/covid-schools/ veröffentlicht.

 

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About the Complexity Science Hub Vienna (CSH):

The mission of CSH Vienna is to host, educate, and inspire complex systems scientists dedicated to making sense of Big Data to boost science and society. Scientists at the Hub develop methods for the scientific, quantitative, and predictive understanding of complex systems. Focal areas include the resilience and efficiency of socio-economic and ecological systems, network medicine, the dynamics of innovation, and the science of cities.

The Hub is a joint initiative of AIT Austrian Institute of Technology, Central European University CEU, Danube University Krems, Graz University of Technology, IIASA International Institute for Applied Systems Analysis, Medical University of Vienna, TU Wien, VetMedUni Vienna, Vienna University of Economics and Business, and Austrian Economic Chambers (WKO).

http://www.csh.ac.at


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