News Release

Wie chronischer Schmerz entsteht

Heidelberger Wissenschaftler identifizieren molekulare Mechanismen, die die Schmerzverarbeitung und Schmerzempfindlichkeit beeinflussen

Peer-Reviewed Publication

Heidelberg University

Rückenmarkhinterhorn der Maus

image: Ausschnitt des Rückenmarkhinterhorns der Maus. Blau: Zellkerne, rot: Neuronen. In grün ist das Acetylierungslevel von Histon 3 dargestellt. Es wird genutzt, um die Aktivität von HDAC4 zu messen. view more 

Credit: Daniela Mauceri

Zur Entstehung von chronischen Schmerzen trägt ein epigenetischer Faktor bei ebenso wie ein Organischer Anionen-Transporter (OAT1), dessen Funktion im Nervensystem bislang unbekannt war. Den zugrundeliegenden molekularen Mechanismus hat ein Team von Wissenschaftlern unter Leitung von Dr. Daniela Mauceri am Interdisziplinären Zentrum für Neurowissenschaften (IZN) der Universität Heidelberg identifiziert. Wie die Forscher im Versuch mit Mäusen nachweisen konnten, beeinflusst der epigenetische Faktor – er trägt die Bezeichnung HDAC4 – die Expression von Genen in Neuronen, die an der Verarbeitung von Schmerzen beteiligt sind. Der Transporter OAT1 reguliert die Schmerzempfindlichkeit im Rückenmark, so ein weiteres Ergebnis der Heidelberger Untersuchungen. Von ihren Erkenntnissen erhoffen sich die Wissenschaftler neue Ansätze zur Behandlung von chronischen Schmerzen.

„Normale, akut-physiologische Schmerzen verhindern Gewebeschäden und verschwinden im Falle einer Verletzung, sobald diese abheilt. Chronisch-pathologische Schmerzen dagegen treten auch nach dem Abklingen einer Verletzung und ohne besonderen Grund auf“, erläutert Daniela Mauceri, die mit ihrer Arbeitsgruppe in der Abteilung für Neurobiologie am IZN forscht. Der Übergang von akutem zu chronischem Schmerz wird durch Veränderungen bei der Genexpression hervorgerufen. Sie reguliert, wie die in einem Gen enthaltenen Informationen in ein Genprodukt – etwa Proteine oder RNA-Moleküle – umgesetzt werden. Chronische Schmerzen treten insbesondere dann auf, wenn Zellen wie die Neuronen im Rückenmarkhinterhorn betroffen sind. Beim Rückenmarkhinterhorn handelt es sich um jenen Bereich des Rückenmarks, der sensorische Informationen verarbeitet.

Mit der Histondeacetylase 4 (HDAC4) haben die Wissenschaftler nun einen epigenetischen Faktor identifiziert, der die Genexpression von Neuronen im Rückenmarkhinterhorn maßgeblich beeinflusst. Im Versuch mit Mäusen stellten sie fest, dass HDAC4 infolge von langanhaltenden Schmerzen aus dem Kern der Neuronen im Rückenmarkhinterhorn heraustransportiert und somit deaktiviert wird. Sammelt sich HDAC4 bevorzugt im Zytosol, dem Teil der Zelle außerhalb des Zellkerns, kommt es zu chronischen schmerzbedingten Reaktionen. Hinderten die Forscher HDAC4 daran, das Zytosol zu erreichen, fielen auch die von den Mäusen gezeigten chronischen Schmerzreaktionen geringer aus.

In Zusammenarbeit mit Prof. Dr. Rohini Kuner, die eine Arbeitsgruppe am Pharmakologischen Institut der Medizinischen Fakultät Heidelberg leitet, ging das Team um Dr. Mauceri anschließend der Frage nach, welche von HDAC4 kontrollierten Gene für die Entstehung von chronischen Schmerzen verantwortlich sind. Sie fanden heraus, dass an diesem Prozess der Organische Anionen-Transporter 1 (OAT1) entscheidend beteiligt ist. Er wird als Trägerstoff auch bei Menschen exprimiert. Nach den Worten von Dr. Mauceri war seine Funktion im Nervensystem bislang unklar. „Im Maus-Experiment konnten wir nun zeigen, dass OAT1 im Rückenmark die Schmerzempfindlichkeit steuert. Sollten künftige Studien bestätigen, dass dies auch für Menschen zutrifft, könnte sich daraus ein neuer Behandlungsansatz in der Schmerztherapie ergeben“, so die Neurobiologin.

Um diesen Ansatz weiter zu testen, verabreichten die Wissenschaftler den Mäusen den OAT1-Hemmer Probenecid. Nach der Gabe dieses Wirkstoffes nahm die OAT1-Aktivität und somit die Schmerzempfindlichkeit der Mäuse ab. Als besonders interessante Erkenntnis erwies sich für die Forscher, dass Probenecid im Experiment auch dann eine lindernde Wirkung zeigte, wenn chronische Schmerzen bereits vorhanden waren. Von diesen Ergebnissen – sofern sie durch künftige klinische Studien bestätigt werden – erhoffen sie sich neue Therapieansätze. Dr. Mauceri: „Es könnte interessant sein, zu testen, ob sich OAT1-Hemmer wie Probenecid, die mithilfe von sogenannten Schmerzpumpen direkt ins Rückenmark verabreicht werden können, als Behandlungsoption für Patienten mit chronischen Schmerzen eignen.“

Die Forschungsarbeiten waren eingebunden in den an der Universität Heidelberg angesiedelten Sonderforschungsbereich 1158 „Von der Nozizeption zum chronischen Schmerz: Struktur-Funktions-Merkmale neuraler Bahnen und deren Reorganisation“, dessen Sprecherin Prof. Kuner ist. Die Ergebnisse der Studie wurden in der Fachzeitschrift „Nature Communications“ veröffentlicht.


Disclaimer: AAAS and EurekAlert! are not responsible for the accuracy of news releases posted to EurekAlert! by contributing institutions or for the use of any information through the EurekAlert system.